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Niemand hört dich schreien (German Edition)

Niemand hört dich schreien (German Edition)

Titel: Niemand hört dich schreien (German Edition)
Autoren: Mary Burton
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der Pathologe sie auf Vergewaltigung hin untersucht.«
    »Ist schon veranlasst.«
    Jacob beugte und streckte die rechte Hand, um die Steifheit daraus zu vertreiben. Eingehend musterte er das, was vom Gesicht des Opfers zu sehen war. Es würde schwierig werden, den Todeszeitpunkt genau zu bestimmen. Die Kälte hatte zweifellos den Verwesungsprozess verlangsamt. »Gibt es irgendwelche Vermisstenmeldungen?«
    Ein kalter Windstoß ließ Zack den Kopf einziehen. »Ich habe vor einer Viertelstunde angerufen. Es ist niemand als vermisst gemeldet, auf den ihre Beschreibung passt, aber vielleicht ändert sich das noch.«
    Es gab hundert mögliche Gründe dafür, dass keine Vermisstenmeldung eingegangen war. Vielleicht war das Opfer verreist gewesen. Vielleicht hatte sie sich mit ihrem Mann gestritten, oder sie hatte allein gelebt und nur wenige Freunde gehabt. Doch früher oder später wurden die meisten Menschen von irgendjemandem vermisst.
    Flussaufwärts waren keinerlei Docks, Boote oder Anlegestellen zu sehen, von wo aus man sie hätte ins Wasser werfen können. »Sie ist klitschnass, aber ihre Haut ist nicht verfärbt, wie sie es nach einem Aufenthalt im Wasser wäre. Und wenn sie im Fluss gelegen hätte, müssten Algen oder Gras an ihr haften.«
    »Der eiskalte Regen von gestern hätte jeden bis auf die Haut durchnässt.«
    Jacob konnte sich so einige Möglichkeiten vorstellen, wieso eine Frau aus der Mittelschicht auf diese Weise endete: heimliche Drogensucht, häusliche Gewalt … zum jetzigen Zeitpunkt konnte man nur raten.
    Er starrte auf ihre Leiche. »Warum sie hier deponieren?« Zack kritzelte etwas in seinen Notizblock. »Vielleicht hat der Täter geglaubt, man würde sie eine ganze Weile nicht finden.«
    »Oder er hat im Gegenteil gedacht, man würde sie rasch finden. Hier treiben sich seit Wochen überall die Leute von der Baufirma herum.«
    »Das würde eine Reihe neuer Fragen aufwerfen.«
    Die meisten Mörder wollten ihre Tat vertuschen. Falls die Frau bewusst hier abgelegt worden war, traf Zacks Vermutung zu. Dann hatten sie es mit einer viel schlimmeren Geschichte zu tun.
    Motorengeräusch ertönte, und die beiden schauten den Hang hinauf. Der Wagen der Spurensicherung war da. Auf dem Fahrzeug stand in blauen Buchstaben auf weißem Grund Henrico County Forensics .
    Die Fahrertür wurde geöffnet, und eine junge, dunkelhaarige Frau stieg aus – Tess Kier, Zacks Schwester. Tess war seit drei Jahren bei der Spurensicherung und galt als äußerst gründlich, eine der Besten im ganzen Land.
    Sie war groß für eine Frau, hatte scharf geschnittene Gesichtszüge und einen schlanken Körper. Mehr als einmal hatte Jacob daran gedacht, etwas mit ihr anzufangen, doch er hatte nie die Initiative ergriffen. Sie war nicht nur die jüngere Schwester seines Partners, Jacob und sie trafen auch oft an Tatorten aufeinander. Finger weg von den Kolleginnen . Das war ein Lieblingsspruch seines Sergeants bei der Army gewesen. Weise Worte, die Jacob zu beherzigen versuchte.
    Zacks angespannte Gesichtszüge wurden ein klein wenig weicher, und er ging Tess entgegen.
    Jacob blieb unten am Fluss, in der Nähe des Opfers. Er drehte sich um und sah hinaus aufs Wasser, ohne zu wissen, wonach er suchte. Was für ein trauriger, trostloser Ort. »Niemand verdient so etwas.«
    Tess kam die Böschung herunter, in Overall, Stiefeln und Handschuhen. Um ihren Hals baumelte eine Digitalkamera, und in der Hand hielt sie ein Klemmbrett. Aus ihrem rabenschwarzen Pferdeschwanz ragte ein Bleistift. Sie warf einen Blick auf Jacobs Hände, als sie bei ihm angekommen war.
    Jacob las in ihr wie in einem offenen Buch. Er wackelte mit den Fingern. »Ich war brav und hab meine Handschuhe angezogen.«
    »Gut.« Tess ’ glatte, helle Haut betonte ihre strahlend blauen Augen. »Ich kann niemanden gebrauchen, der mir den Tatort kontaminiert.« Sie warf ihrem Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu. »Dir muss ich ja nichts über die richtige Ausrüstung erzählen.«
    Zack wirkte gelangweilt, als hätte er diese Ansprache schon tausendmal gehört. »Hat dir mal jemand gesagt, dass du morgens ätzend bist?«
    »Ja, mein Exfreund.« Tess klemmte sich das Brett unter den Arm und begann, Fotos zu machen.
    Im schwachen Licht der Morgensonne tauchte der Kamerablitz die Leiche in grausame Helligkeit. Alle verstummten. Stille senkte sich über die Szenerie.
    Tess nahm die Leiche aus jedem erdenklichen Blickwinkel auf. Zunächst stand sie auf der Böschung, dann ging
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