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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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hinein und da konnte er merken, wie alles zusammenhing. »Vater! Mutter!« rief er. »Ich
     bin groß! Ich bin wieder ein Mensch!«

LIV. Der Abschied von den Wildgänsen
    Mittwoch, 9. November.
    Am nächsten Morgen war Niels Holgersen vor Tagesgrauen auf und ging an den Strand hinab. Ehe es noch richtig hell war, stand
     er eine Strecke östlich von dem Fischerdorf Smyge am Ufer. Er war ganz allein. Er war in der Gänsebucht bei dem Gänserich
     Martin gewesen und hatte einen Versuch gemacht, ihn zu wecken. Aber der große Weiße wollte sich nicht von der Stelle rühren.
     Er sagte kein Wort, steckte nur den Kopf unter den Flügel und setzte sich wieder zum Schlafen zurecht.
    Es sah so aus, als sollte es ein schöner, heller Tag werden. Es war fast so schönes Wetter wie an jenem Frühlingstag, als
     die Wildgänse über Schonen geflogen kamen. Das Meer lag still und regungslos da. Kein Lüftchen rührte sich, und der Junge
     dachte, welch eine schöne Reise die Wildgänse haben würden.
    Er selbst ging noch wie im Traum. Bald fühlte er sich als Heinzelmännchen, bald als Mensch. Wenn er eine steinerne Umfriedigung
     am Wege sah, wagte er kaum weiterzugehen, ehe er sich nicht überzeugt hatte, daßdahinter kein Raubtier auf der Lauer lag. Und gleich darauf lachte er über sich selbst und freute sich, daß er wieder groß
     und stark war, und daß er vor nichts bange zu sein brauchte.
    Als er an den Strand hinabkam, stellte er sich, so groß er war, unten am Wasser auf, damit die Wildgänse ihn sehen sollten.
     Es war ein großer Reisetag. Unaufhörlich ertönten Lockrufe aus der Luft. Er lächelte vor sich hin, wenn er daran dachte, daß
     er ja der einzige war, der verstand, was die Vögel einander zuriefen.
    Jetzt kamen auch Wildgänse geflogen. Eine große Schar nach der anderen. »Wenn es nur nicht meine Gänse sind, die wegfliegen,
     ohne mir Lebewohl zu sagen!« dachte er. Er wollte ihnen so gern erzählen, wie das Ganze zugegangen, und ihnen zeigen, daß
     er wieder ein Mensch geworden war.
    Da kam eine Schar, die schneller flog und lauter schrie als die anderen, und etwas in seinem Innern sagte ihm, daß dies seine
     Schar sei. Aber er war dessen nicht so sicher, wie er es am vorhergehenden Tage gewesen wäre.
    Die Schar flog jetzt langsamer, sie flog an der Küste hin und der. Da wußte der Junge, daß es seine Schar war. Er konnte nur
     nicht begreifen, warum die Wildgänse sich nicht neben ihm niederließen. Es war doch unmöglich, daß sie ihn da, wo er stand,
     nicht gesehen haben sollten.
    Der Junge versuchte einen Lockton auszustoßen, der sie zu ihm hinabrufen konnte. Aber was war das nur? Die Junge wollte nicht.
     Er konnte den richtigen Laut nicht hervorbringen.Er hörte Akka oben in der Luft rufen, er verstand aber nicht, was sie sagte. »Was ist das nur? Haben die Wildgänse ihre Sprache
     verändert?« dachte er.
    Er winkte ihnen mit seiner Mütze zu, und er lief am Strande entlang und rief: »Hier bin ich, wo bist du?«
    Aber das schien sie nur zu beängstigen. Sie hoben die Flügel und flogen übers Meer hinaus. Da wurde ihm die Sache endlich
     klar! Sie wußten nicht, daß er ein Mensch war. Sie konnten ihn nicht erkennen!
    Und er konnte sie nicht zu sich rufen, weil ein Mensch die Sprache der Vögel nicht sprechen kann. Er konnte sie nicht sprechen,
     und er konnte sie auch nicht verstehen.
    Obwohl Niels Holgersen so glücklich war, aus seinem Zauberbann erlöst zu sein, fand er es doch bitter, so von seinen guten
     Kameraden getrennt zu sein. Er setzte sich in den Sand und hielt die Hände vor das Gesicht. Was konnte es nützen, ihnen nachzusehen?
    Nach einer Weile aber hörte er Flügelrauschen. Es war der alten Mutter Akka schwer geworden, vom Däumling zu reisen, und sie
     kehrte noch einmal zurück. Und jetzt, wo der Junge still dasaß, wagte sie es, näher an ihn heranzufliegen. Und auf einmal
     war es, als seien ihr die Augen dafür aufgetan, wer er war. Sie ließ sich neben ihm auf der Landzunge nieder.
    Der Junge stieß einen Freudenschrei aus und schlang die Arme um die alte Mutter Akka. Die anderen Wildgänse strichen mit den
     Schnäbeln an ihm auf und nieder und drängten sich um ihn. Sie klagten und schnatterten und wünschten ihm auf alle mögliche
     Weise Glück, und er sprach auch mit ihnen und dankte ihnen für die wunderbareReise, die er in ihrer Gesellschaft gemacht hatte. Aber auf einmal wurden die Wildgänse so merkwürdig still, als wollten
     sie sagen: »Ach, er ist
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