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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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herumgeflogen war, um ihm zu zeigen, daß er ein Land habe,
     das sich wohl mit einem jeden im Ausland messen konnte. Aber das hätte sie wirklich nicht nötig gehabt. Der Junge dachte gar
     nicht daran, ob das Land reich oder arm war. Von dem Augenblick an, wo er die ersten Weidenhecken und das erste niedrige Fachwerkhaus
     gesehen hatte, brannte ihm das Herz vor Heimweh.

LIII. Bei Holger Nielsens
    Dienstag, 8. November.
    Es war einer von diesen nebeligen, trüben Tagen. Die Wildgänse hatten auf den großen Feldern bei der Sturuper Kirche geweidet
     und hielten gerade Mittagsrast, als Akka zu Niels Holgersen geflogen kam. »Es scheint, daß wir jetzt eine Weile stilles Wetter
     bekommen werden,« sagte sie, »und ich denke, wir fliegen morgen über die Ostsee.« – »Ach so!« sagte der Junge kurz, denn der
     Hals war ihm wie zugeschnürt, so daß er nicht sprechen konnte. Er hatte ja noch immer gehofft, daß er von dem Zauberbann erlöst
     werden würde, während er in Schonen war.
    »Jetzt sind wir ziemlich nahe bei Vestervemmenhög,«sagte Akka, »und ich denke mir, du hast vielleicht Lust einmal zu Hause einzugucken. Es wird ja eine ganze Weile währen,
     bis du wieder jemand von den Deinen zu sehen bekommst.« – »Es wird wohl das beste sein, wenn ich das unterlasse,« sagte der
     Junge, aber man konnte es seiner Stimme anhören, daß er sich über den Vorschlag freute. – »Wenn der Gänserich bei uns bleibt,
     kann ja kein Unglück geschehen,« fuhr Akka fort. »Ich meine, du mußt wissen, wie es daheim bei dir aussieht. Vielleicht kannst
     du den Deinen auf irgendeine Weise helfen, selbst wenn du nicht wieder ein Mensch wirst.« – »Ja, darin habt Ihr recht, Mutter
     Akka. Daran hätte ich selbst denken sollen,« sagte der Junge und wurde ganz eifrig.
    Einen Augenblick später befanden sich der Junge und die Führergans auf dem Wege zu Holger Nielsens, und es währte nicht lange,
     bis sich Akka hinter der steinernen Mauer niederließ, die die Häuslerstelle einschloß.
    »Es ist doch sonderbar, wie unverändert alles ist,« sagte der Junge und kroch schleunigst auf die Mauer hinauf und sah sich
     um. »Es ist mir, als sei es gestern gewesen, als ich hier saß und euch in der Luft daherfliegen sah.«
    »Ich möchte wohl wissen, ob dein Vater eine Büchse hat?« fragte Akka plötzlich. – »Das sollte ich meinen!« antwortete der
     Junge. »Um der Büchse wegen bin ich ja an jenem Sonntag zu Hause geblieben, statt in die Kirche zu gehen.« – »Dann wage ich
     nicht, hier zu stehen und auf dich zu warten,« sagte Akka. »Es wird am besten sein, wenn du morgen früh bei Smygehuk wieder
     zu uns stößt, dann kannst du die Nacht über zu Hause bleiben.« –»Ach nein, fliegt noch nicht fort, Mutter Akka!« rief der Junge und sprang schnell vom Zaun herunter. Er wußte nicht, woher
     es kam, aber er hatte gleichsam eine Ahnung, daß ihm oder den Wildgänsen etwas zustoßen könne, so daß sie einander nie wiedersehen
     würden. »Ihr könnt ja wohl sehen, wie betrübt ich bin, daß ich meine rechte Gestalt nie wieder bekommen soll,« fuhr er fort.
     »Aber ich will Euch doch sagen, ich bereue es nicht, daß ich im Frühling mit Euch geflogen bin. Nein, lieber will ich nie
     wieder ein Mensch werden, als diese Reise entbehren.« Akka sog ein paarmal Luft ein, ehe sie antwortete: »Da ist etwas, worüber
     ich schon lange mit dir habe reden wollen, aber wenn du doch nicht zu deinen Eltern zurückkehren wolltest, meinte ich, es
     habe keine Eile. Aber es kann ja nie schaden, daß wir darüber reden.« – »Ihr wißt, daß es nichts auf der Welt gibt, was ich
     nicht für Euch tun würde,« sagte der Junge. – »Wenn du etwas Gutes bei uns gelernt hast, Däumling, so findest du am Ende nicht
     mehr, daß die Menschen allein die Erde besitzen sollen,« sagte die Führergans feierlich. »Bedenke, ihr habt ein großes Land,
     da könntet ihr uns armen Tieren sehr wohl ein paar kahle Schären und einige sumpfige Seen und Moore und einige öde Felsen
     und entlegene Wälder überlassen, wo wir in Frieden leben könnten! Alle die Jahre, die ich gelebt habe, bin ich gejagt und
     verfolgt gewesen. Es wäre herrlich; zu wissen, daß es auch für einen Vogel, wie ich es bin, eine Freistatt gäbe.«
    »Ich würde wahrlich glücklich sein, wenn ich Euch dazu hätte verhelfen können,« sagte der Junge, »doch ich werde wohl niemals
     zu Macht unter den Menschen gelangen.«– Aber wir stehen ja hier und sprechen,
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