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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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hatte ein spitzes Stück Eisen aus dem Huf des Pferdes gezogen und stand nun sehr vergnügt da und streichelte
     das Tier, als seine Frau in den Stall gestürzt kam. »Komm einmal her, dann sollst du sehen, was für einen Fang ich gemacht
     habe!« sagte sie. – »Nein, noch einen Augenblick, Mutter, und sieh erst einmal hierher!« sagte der Mann. »Jetzt habe ich entdeckt,
     was dem Pferd gefehlt hat.« – »Ich glaube, jetzt hat sich das Glück gewendet und kehrt wieder zu uns zurück,« sagte die Frau.
     »Denk dir nur, der große Gänserich, der im Frühling verschwand, muß mit den Wildgänsen geflogen sein. Er ist zurückgekommen
     und hat sieben Wildgänse mitgebracht. Sie gingen in die Gänsebucht hinein, und ich habe sie da alle eingesperrt.« – »Das ist
     doch sonderbar!« sagte Holger Nielsen. »Weißt du aber, was das beste bei dem Ganzen ist, Mutter? Wir brauchen nun nicht mehr
     zu glauben, daß unser Junge den Gänserich mitgenommen hat, als er weglief.« – »Ja, da hast du recht, Vater. Aber nun will
     ich dir etwas sagen, Vater: Ich glaube, ich muß die Gänse gleich heute abend schlachten. In ein paar Tagen ist der Martinstag,
     und wirmüssen uns beeilen, wenn wir sie noch in die Stadt bringen wollen,« – »Ich finde eigentlich, es ist unrecht, den Gänserich
     zu schlachten, da er doch mit einer so großen Schar zu uns zurückgekehrt ist,« sagte Holger Nielsen. – »Wenn die Zeiten besser
     wären, würde ich ihn gern am Leben lassen, aber da wir ja selbst von hier fort müssen, können wir die Gänse doch nicht behalten.«
     – »Darin hast du freilich recht.« – »Komm, und hilf mir, sie ins Haus hineinzutragen,« sagte die Mutter.
    Sie gingen aus dem Stall hinaus, und einen Augenblick später sah der Junge seinen Vater mit Daunfein unter dem einen Arm und
     dem Gänserich Martin unter dem andern zusammen mit der Mutter ins Haus gehen. Der Gänserich rief: »Däumling! Komm und hilf
     mir!« wie er zu tun pflegte, wenn er in Gefahr war, obwohl er ja gar nicht wissen konnte, daß der Junge in der Nähe war.
    Niels Holgersen hörte ihn sehr wohl, aber er blieb trotzdem in der Stalltür stehen. Wenn er zögerte, so geschah das nicht,
     weil er wußte, daß es gut für ihn war, wenn der Gänserich auf die Schlachtbank gelegt würde – daran dachte er in diesem Augenblick
     nicht einmal. Sollte er aber den Gänserich retten, so mußte er sich vor seinem Vater und seiner Mutter sehen lassen, und dazu
     konnte er sich nicht entschließen. »Sie haben es schon schwer genug!« dachte er. »Soll ich ihnen wirklich auch noch diesen
     Kummer bereiten?«
    Als sich aber die Tür hinter dem Gänserich schloß, kam Leben in den Jungen. Er stürzte über den Hofplatz, sprang auf die eichene
     Schwelle vor der Haustür und liefauf den Flur. Hier zog er nach alter Gewohnheit die Holzschuhe aus und näherte sich der Stubentür. Aber er hatte noch immer
     einen solchen Widerwillen dagegen, sich seinen Eltern zu zeigen, daß er nicht imstande war, die Hand zu erheben, um anzuklopfen.
     »Bedenke doch, es handelt sich um den Gänserich Martin,« dachte er, »um ihn, der dein bester Freund war, seit du hier das
     letztenmal standest!« Und im selben Augenblick erlebte er wieder alles, was er und der Gänserich auf gefrorenen Seen und stürmischen
     Meeren und zwischen wütenden Raubtieren durchgemacht hatten. Sein Herz schwoll vor Dankbarkeit und Liebe, und er überwand
     sich und klopfte an die Tür.
    »Ist da jemand, der herein will?« fragte der Vater, indem er die Tür öffnete.
    »Mutter! du darfst der Gans nichts tun!« rief der Junge, und im selben Augenblick stießen der Gänserich und Daunfein einen
     Freudenschrei aus; sie waren auf einer Bank festgebunden, aber er konnte doch hören, daß sie noch am Leben waren.
    Aber auch die Mutter stieß einen Freudenschrei aus. »Nein, wie groß und schön du geworden bist!« rief sie aus.
    Der Junge war nicht in die Stube hineingegangen, er war auf der Schwelle stehengeblieben wie jemand, der nicht sicher ist,
     welcher Empfang ihm zuteil werden wird. »Gott sei Lob und Dank, daß ich dich wieder habe!« sagte die Mutter. »Komm herein!
     Komm herein!« – »Sei herzlich willkommen!« sagte der Vater, er konnte kein Wort weiter herausbringen.
    Der Junge aber blieb auf der Türschwelle stehen. Erkonnte nicht begreifen, daß sie sich zu ihm freuten, so wie er aussah. Aber dann kam die Mutter zu ihm, schlang die Arme
     um ihn und führte ihn in die Stube
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