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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus
Autoren: Blake Charlton
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bewachen.
    Als sich das Jahr der Wintersonnenwende zuneigte und die scharlachroten Blätter des Himmelbaums zu fallen begannen, brach Nicodemus mit seinen Koboldkriegern zum Neumondturnier auf. Boann begleitete sie, doch Shannon musste zurückbleiben. Der Stammesführer der Kobolde behauptete, dass es schon schwer genug sei, überhaupt einen Menschen mit zu dem Treffen zu bringen. Zwei wären ganz und gar unmöglich.
    Auf sich allein gestellt vergingen die Tage für Shannon nur schleppend. Zwar hatte er wieder Appetit und fühlte sich körperlich insgesamt besser, doch er schlief schlecht und ging unruhig im Tal umher. Nach den längsten zwei Wochen seines Lebens vernahm Shannon endlich die Rückkehr der Krieger. Die Kobolde trugen Nicodemus auf ihren Schultern, an seinem Kinn klaffte ein tiefer Riss, um die Brust war eine Bandage gewickelt, doch sein Haupt zierte ein altertümlicher Stahlreif.
    Nicodemus war als Sieger aus der Neumondschlacht hervorgegangen und hatte noch fünfzig weitere Krieger mitgebracht. Wie der Zufall es wollte, waren sie am Vorabend der Wintersonnenwende zurückgekehrt, und die Kobolde feierten ein großes Fest am Lagerfeuer. Shannon setzte sich während des Mahls neben Nicodemus. Er war begierig, alles über das Turnier zu erfahren, doch die Kobolde veranstalteten mit ihrem Gesinge, Getanze und ihrer Prahlerei einen solchen Radau, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte. Zwei der Blauhäute fingen sogar eine Rauferei an, bevor Nicodemus ihnen mit einem Kommando Einhalt gebot.
    Später am Abend begann es zu schneien. Auch diesmal gelangten nur wenige Schneeflocken bis hinunter ins Tal, doch das genügte, um das Fest zu beenden. Zum Abschied verneigten sich alle Kobolde vor Nicodemus und zogen sich dann in ihre Höhlen zurück. Shannon begleitete seinen Schüler ins Haus, schaute noch einmal nach seinenVerletzungen, die allerdings keinen Anlass zur Sorge boten, und schlief dann erleichtert ein.
    Als sie am nächsten Morgen erwachten, war es dunkel und bitterkalt, und der Boden war eine Handbreit mit Schnee bedeckt. Während des Frühstücks erzählte Nicodemus von dem Turnier in der verfallenen Koboldstadt. Einer der Stämme hatte angezweifelt, dass Nicodemus der angekündigte Erlöser sei. Die Krieger dieses Stammes hatten seine Truppe im Verlauf des Turniers aus dem Hinterhalt überfallen. Anfänglich prahlte Nicodemus damit, wie seine Krieger den Angriff abgewehrt hatten, doch als er an all die feindlichen Kobolde dachte, die er getötet hatte, kehrte sein Ernst zurück. Shannon ließ sich alles zweimal erzählen.
    Nach dem Essen legte sich Nicodemus wieder ins Bett und erwachte erst am Nachmittag, als es zu schneien aufgehört hatte. »Wintersonnenwende«, sagte er und schaute in den sich aufklarenden Himmel. »In Starhaven werden sie heute feiern.«
    Shannon stimmte ihm zu. »Es kommt mir seltsam vor, dass an diesem Feiertag nur so wenig Schnee liegt.«
    Nicodemus schwieg eine Weile. »Vielleicht klettere ich einmal auf den höchsten Ast, um von dort aus den Schnee zu betrachten. Dort oben inmitten der Zweige liegt eine kleine chthonische Festung, von deren Wachturm hat man einen fabelhaften Blick.«
    Shannon war noch nie so hoch geklettert, und er traute es sich auch nicht zu, mit seinem jungen Schüler mithalten zu können. Also schickte er Nicodemus alleine los.
     
    Als Nicodemus den Wachturm auf dem Baumwipfel erreicht hatte, öffnete sich vor ihm ein herrliches Panorama: Überall waren verschneite Bergspitzen zu sehen und weiter im Norden konnte er die schlanke Silhouette des Eversong-Turms erkennen.
    Schon vor langer Zeit hatte der chthonische Wachturm sein Dach eingebüßt und nun war alles von einer fußhohen Schneeschicht überzogen. Nicodemus schob den Schnee von einem alten Tisch und ließ sich darauf nieder, um zuzusehen wie der kürzeste Tag im Jahr zur Neige ging.
    Als die Sonne am Horizont versank und die Welt in burgunderfarbenes Licht tauchte, kam Shannon schnaufend die Treppe herauf.
    Nicodemus eilte zu ihm, um ihm bei den letzten Stufen behilflich zu sein. »Magister«, schimpfte er, »Ihr hättet mir sagen sollen, dass Ihr mit hinaufkommen wollt, dann wäre ich doch mit Euch gegangen.«
    »Dann hättest du deine Zeit mit einem alten Mann vertan«, keuchte der Zauberer. Nicodemus half ihm, sich zu setzen.
    »Flammendes Blut, nun bin ich aber müde«, sagte Shannon, setzte die Papageiendame in seinen Schoß und hüllte sie schützend in seinen Umhang.
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