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Fear

Fear

Titel: Fear
Autoren: Tom Bale
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    Sie hatten ihm eine Falle gestellt, und fast wäre er hineingetappt. Trotz all seiner Vorsichtsmaßnahmen, trotz der Jahre, die er gelebt hatte wie ein gehetztes Tier, hatte er es nicht kommen sehen.
    Er war eine Nadel in einem Heuhaufen. In diesem Glauben hatte er sich gewiegt. Sie würden ihn niemals finden, weil es ihnen sowohl an Organisation als auch an Entschlossenheit mangelte. Weil sie nicht schlau genug waren.
    Aber er hatte sich geirrt. Er hatte übersehen, dass sie gar nicht so sonderlich schlau sein mussten. Alles, was sie brauchten, waren Geduld, Hartnäckigkeit und ein kleines bisschen Glück. Wenn sie den Heuhaufen nur lange genug durchkämmten, würde ihnen die Nadel früher oder später in die Hände fallen.
    Ob sie dann flach landete oder sie beim Zugreifen stach, war eine andere Frage …
    Es war die Ecke, die ihn rettete. Die Ecke, das hohe Gerüst und eine ganz erhebliche Portion Glück.
    Fünf Minuten zuvor hatte er noch unten auf der Straße gestanden und einen Kaffee getrunken, den ihm die Hauseigentümerin vor die Tür gebracht hatte. Als er die Leiter hinaufstieg, um sich wieder an die Arbeit zu machen, hatte Ryan gesagt: »In zehn Minuten machen wir Mittag.«
    »Echt?«
    »Ja – warum nicht?« Ryan schien selbst ein wenig verblüfft über seine Großzügigkeit; er arbeitete oft von morgens bis abends ohne Pause durch. »Wir schuften schließlich schon seit halb acht.«
    Da hatte er auch wieder recht. Und so verbrachte Joe die nächsten paar Minuten in freudiger Erwartung einer dampfenden Lasagne und eines kühlen Glases Lager im Pub.
    Die beiden Männer bogen an der Einmündung von Sion Hill um die Ecke, keine zehn Meter entfernt. Sie waren zu Fuß, und dank des spitzen Winkels zwischen dem Gehsteig und der obersten Plattform des Gerüsts war Joe von unten nicht zu sehen. Hätten sie in einem Auto gesessen, oder wären sie von weiter oben die Straße heruntergekommen, hätten sie ihn sofort entdeckt.
    Und sie unterhielten sich. Joe konnte zwar nicht genau verstehen, was sie sagten, doch er registrierte sofort den vulgären Londoner Slang – einen Tonfall, der bei ihm stets die Alarmglocken läuten ließ. Er duckte sich und nutzte den Moment, um seinen Pinsel in die Farbe zu tauchen. Einer der Männer rief: »Ey, du da!«
    Joes Magen krampfte sich zusammen, als er den Ruf hörte. Er verharrte in Kauerstellung, während die Männer näher traten, und hörte ein leises metallisches Klirren, als jemand mit einer Armbanduhr oder einem Ring gegen die Gerüststange stieß.
    Joe beugte sich vor, gerade so weit, dass er einen Blick auf die beiden Männer unten auf dem Gehsteig erhaschen konnte. Das eine Gesicht war ihm völlig unbekannt, doch das andere war ihm nur allzu vertraut.
    Es war das Gesicht eines Mannes, den er getötet hatte.
    Zwanzig vor zwölf an einem kühlen, trüben Dienstag Anfang Oktober – in einem Herbst mit heftigen Regenfällen, von denen in den nächsten Tagen noch mehr erwartet wurden. Ryan schätzte, dass diese Woche noch die besten Chancen bot, die Außenarbeiten abzuschließen. Bisher hatte er recht behalten, wenngleich sich den ganzen Vormittag über die Wolken über der Avon-Schlucht zusammengeballt hatten.
    Ryan setzte Leitern ein, wann immer es möglich war; ansonsten einen leichten, transportablen Gerüstturm. Aber das Gebäude, das sie derzeit renovierten, war ein dreigeschossiges georgianisches Stadthaus. Da musste es schon ein festes Stangengerüst sein.
    Im Gegensatz zu den meisten anderen Häusern in der Straße, deren Fassaden mit feinem Tüpfelputz gestaltet waren, wies dieses hier eine dicke Rauputzschicht auf. Joe hatte angenommen, dass sie mit der Sprühpistole arbeiten würden, aber Ryan hatte ihm erklärt, das sei Zeitverschwendung.
    »Um die Farbe in die Ritzen zu kriegen, musst du ganz, ganz langsam sprühen. Und dann fängt es überall an zu tropfen, sodass du andauernd unterbrechen musst, um die Farbe aufzuwischen. Da ist es leichter, wenn du gleich mit dem Pinsel rangehst.«
    Joe merkte bald, dass leichter ein relativer Begriff war, wenn es darum ging, den Pinsel immer wieder in zwei, drei Zentimeter tiefe Spalten zu schieben und ihn dann so lange hin und her zu bewegen, bis die ganze Oberfläche mit Farbe bedeckt war.
    Und dann war es auch noch eine ziemliche Sauerei – nicht viel besser, als wenn sie mit der Sprühpistole gearbeitet hätten. Zusätzlich zu seinem Overall trug Joe Handschuhe, eine Schutzbrille und eine Wollmütze. Jedes Mal,
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