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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit
Autoren: Anne Chaplet
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– war auch er Teil des Traums, diesmal ein Wunschtraum, nicht ein Albtraum? Hatte es ihn jemals gegeben? Und war sie wirklich wieder aufgetaucht aus dem märkischen Sand, in dem man sie einst vergraben hatte – das Kleinod des Schreckens, die Waffe des Führers, die Walther PPK, Seriennummer 803157? Hatte sie gesehen, womit Lilly sie bedrohte, dort oben auf dem Reichstag? Oder hatte sie auch das nur geträumt?
    Jon. Er mußte den Kamm an sich genommen und wieder zurückgebracht haben – nicht an den ursprünglichen Fundort, nur an den Eingang zum Bunker. Um sie zu schützen? Wahrscheinlich. Anne hätte gern die Dankbarkeit zugelassen, die in ihr aufstieg, wenn sich nicht ein unbehaglicher Gedanke in ihrem Kopf breitgemacht hätte.
    Irgend jemand wollte, daß sie vergaß. Irgend jemandem war daran gelegen, daß gar nicht erst ans Tageslicht kam, was Bunge und Zettel verbunden hatte. Irgendeiner manipulierte die Wahrheit – und Karen war mit ihrer Beweisführung das willkommene Instrument. So wie die unschuldige Anmerkung eines der Teilnehmer der Bauausschußsitzung aus dem Protokoll verschwunden war, so spurlos war der wichtigste, der eigentliche Grund der Beziehung zwischen Alexander Bunge und Peter Zettel aus der Welt geschafft.
    Hatte sie eine Waffe gesehen in der Hand Lillys? Offenbar nicht. Und schon gar nicht die Walther PPK. Vielleicht lag sie tief unter dem Schlamm auf dem Boden des Kraters im Führerbunker. Vielleicht war sie in der Hand desjenigen, der sie Peter Zettel abgenommen hat, bevor er ihn in den Abgrund hatte stürzen lassen. Vielleicht war sie nie gefunden worden.
    Die Laterne, die zwischen Stall und Hofladen hing, bewegte sich mit einem leisen »Schrieek«. Als Anne aufsah, huschten zwei Fledermäuse durch den Lichtkegel.
    Es war, als ob die Vergangenheit alles wieder verschluckt hätte, was sie ausgespien hatte. Vielleicht war das auch besser so.
    Als sie in die Gaststube zurückkehrte, saß Paul allein am Tisch. Sie zapfte zwei Bier, stellte die Gläser auf den Tisch und setzte sich neben ihn.
    »Und?« Paul sah ihr ins Gesicht. »Hast du noch was zu erledigen? Mußt du der Welt noch irgend etwas beweisen?«
    »Zur Zeit kein Bedarf, vielen Dank.«
    Ihr fiel plötzlich auf, daß seine braunen Augen gelbgefleckt waren. Und daß er Lachfalten in den Augenwinkeln hatte. Und daß sie es mochte, wenn er sie spöttisch angrinste.
    »Meinst du nicht, du solltest dir mal endlich einen leisten, der dir die Leichen aus dem Wege räumt, bevor du über sie stolperst?«
    Sie grinste zurück. »Wenn du eine Aufgabe brauchst im Leben, Paul …«
    Erst als Karen sich räusperte, merkten beide, daß sie zurückgekommen war.
     
    Karen hatte die Fenster heruntergelassen und fuhr ihren MG ausnahmsweise einmal langsam durch die Nacht. Sie war sich über ihre Gefühle im Unklaren. War sie eifersüchtig? Nein, murmelte sie. Das nun wirklich nicht. Neidisch? Schon eher, aber auch das traf es nicht ganz. Einsam? Sicher, nur … Sie merkte belustigt, daß sie den Kopf schüttelte. Demnächst würde sie noch zu Selbstgesprächen übergehen, dachte sie und schaltete das Radio ein.
    Als sie am Westkreuz von der Autobahn abfuhr, glaubte sie zu wissen, warum sie sich beim Anblick von Anne und Paul für einen kurzen Moment so verloren gefühlt hatte. Und warum es plötzlich weh getan hatte, den Weiherhof zu verlassen.
    Sie gehörte nirgendwohin. Sie gehörte niemandem an. Sie fühlte sich heimatlos.

7
    Berlin, im Oktober
     
    Er hatte den Brief zwei Tage lang immer wieder ungeöffnet unter den Stapel seiner Post gesteckt – warum, wußte er auch nicht. Vielleicht, weil er die Handschrift wenig vertrauenerweckend fand, in der jemand »Persönlich! Vertraulich!!!« auf den Briefumschlag geschrieben hatte. Mit drei Ausrufezeichen. Und weil Art und Dicke des Briefumschlags darauf schließen ließen, daß hier wieder einmal ein Nachwuchstalent versuchte, mit ungebeten eingesandten Manuskripten »entdeckt« zu werden – warum bloß wollten heutzutage Leute immer noch Journalist werden?
    Beim Fernsehen, gut, da wurde man berühmt dafür, daß man jeden Tag die Visage in die Kamera hielt, wozu man noch nicht einmal sonderlich schlau sein mußte – im Gegenteil. Aber beim »Journal«? Da wurde man neuerdings höchstens berüchtigt.
    Die Kollegen von der Konkurrenz trieften vor Mitleid, wenn sie ihn auf den »Fall Meier« ansprachen. Das Gerücht, daß die Meier nicht ganz war, wofür man sie gehalten hatte, hatte sich wie ein
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