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Nicht so laut vor Jericho

Nicht so laut vor Jericho

Titel: Nicht so laut vor Jericho
Autoren: Ephraim Kishon
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Herr?«
    Ich befand mich in einer zwiespältigen Lage. Eigentlich hätte ich den Einwanderer Taddeusz vorgezogen, der sich ja schon als schweigsamer Handwerker bewährt hatte, und Schweigsamkeit ist eine von mir sehr geschätzte Eigenschaft. Andererseits hätte mein Beharren auf seine Dienste sehr leicht als Vorurteil gegen die orientalische Bevölkerungsgruppe unseres Landes wirken können, und nichts lag mir ferner. Grienspan, den ich in der Hoffnung auf einen Vermittlungsvorschlag flehend ansah, vertiefte sich in die Lektüre der Abendzeitung. Ich war allein auf mich gestellt.
    »Ich trage mein Haar eher lang«, informierte ich Schabbataj. »Tun Sie Ihr Bestes.«
    »In Ordnung, Boss, ich verstehe, Ihr Wunsch ist mir Befehl«, sprudelte Schabbataj, und sein Redefluß versiegte auch während der Behandlung nicht. Doch siehe da: nachdem ich über seinen Lebenslauf und über die wichtigsten Phasen der Geschichte Marokkos unterrichtet war, hatte er mehr Haar auf meinem Haupt gelassen als irgendeiner seiner Vorgänger in den letzten Jahren. Es war, alles in allem, eine angenehme Überraschung.
    Anfang April kam ich wieder und fand mich einer Situation ausgesetzt, die ich sofort als höchst gefährlich durchschaute: Grienspan war intensiv mit der Lockenpracht eines jugendlichen Avantgardisten beschäftigt, und ebenso intensiv lagen Taddeusz und Schabbataj auf Auslug nach einem Opfer. Tatsächlich deuteten sie beide gleichzeitig auf ihre leeren Sessel und ließen im Duett ihr »Bitte sehr« hören.
    Mit einem derart gordischen Knoten hatte ich es noch nie im Leben zu tun gehabt. Vom humanistischen Standpunkt aus gab es hier überhaupt keine Lösung. Wen immer ich wählte – dem andern bliebe nichts übrig als der Selbstmord.
    Nun, einer von beiden mußte es sein, oder eigentlich werden.
    Es wurde Schabbataj.
    Kaum saß ich in seinem Sessel, als ich meine Wahl auch schon bitter bereute. Taddeusz krümmte sich wie unter der Einwirkung eines elektrischen Schocks, obwohl er vermutlich gar nicht wußte, was das war. Mit kleinen, schlurfenden Schritten zog er sich in den Hintergrund des Gewölbes zurück, von wo alsbald ein leises Schluchzen erklang. Ich tat, als hörte ich nichts. Aber vor meinen geschlossenen Augen erstand die Vision von der Heimkehr des Taddeusz, und es umringten ihn seine Kinder und fragten:
    »Papo, dlazsego plączesz?«
    Und aber es antwortete ihnen Taddeusz:
    »Er hat den andern gewählt…«
    Im übrigen schien auch Schabbataj unter der von mir so brutal herbeigeführten Entscheidung zu leiden. Er schnitt mein Haar, wie Taddeusz es geschnitten hätte: stoppelkurz.
    Diesen tragischen Zwischenfall galt es möglichst bald wieder gutzumachen. Möglichst bald war allerdings sehr lange, weil ich warten mußte, bis mein Haar nachgewachsen war, damit ich Taddeusz für die ausgestandene Unbill entschädigen könnte.
    Als ich den Zeitpunkt endlich gekommen sah, machte ich mich auf den Weg. Mein Schlachtplan war wohlberechnet. Ich ging so lange vor dem Laden auf und ab, bis ich sicher sein konnte, daß Taddeusz als einziger frei war. In diesem Augenblick stürzte ich hinein und direkt auf den Sessel des Einwanderers zu – aber ein bärtiger Gnom, den ich von außen unmöglich hatte sehen können, kam mir zuvor und schnappte mir den Polen weg.
    Schabbataj schärfte sein Rasiermesser an dem hierfür bestimmten Lederriemen mit grausamer Langsamkeit und behielt mich dabei ständig im Auge. Nicht so Taddeusz, der meinen Blicken auswich, als fürchtete er eine neuerliche Erniedrigung. Grienspan tat, als ginge ihn das alles nichts an.
    So saß ich auf der Wartebank, mit angehaltenem Atem und angespanntem Nervensystem. Wer würde als erster fertig sein, Schabbataj oder Taddeusz? Sollte Schabbataj mich gewinnen, so wäre es das Ende meines eingewanderten Bruders aus Polen, daran gab es keinen Zweifel. Angeblich lebte im Katharinen-Kloster auf dem Berge Sinai ein Mönch, der früher einmal ein erfolgreicher Friseur auf der Dizengoff-Straße gewesen war…
    Um Haaresbreite – und das ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen – kam Marokko zuerst ans Ziel. Dem Gnom in Taddeusz’ Sessel fehlte noch die Beseitigung einiger Flaumhaare zum Ende der Prozedur, als Schabbataj seine Kundschaft abzubürsten begann. Dann wandte er sich zu mir und deutete auf den leeren Sessel:
    »Bitte sehr.«
    Ich nahm alle meine Kraft zusammen:
    »Danke«, sagte ich. »Ich warte auf Ihren Kollegen.«
    Auf dem Antlitz des ehemaligen Polen
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