Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht so laut vor Jericho

Nicht so laut vor Jericho

Titel: Nicht so laut vor Jericho
Autoren: Ephraim Kishon
Vom Netzwerk:
was?«
    Die Details sind unwichtig. Seine Fausthiebe taten mir nicht weh, die Kratzer schon etwas mehr. Richtig unangenehm war, daß man in den Nachbarhäusern alles hörte. Dann holte Amir sein Bettzeug aus dem Kinderzimmer und baute es vor dem Fernsehapparat auf.
    Irgendwie konnten wir ihn verstehen. Wir hatten ihn tief enttäuscht, wir hatten den Glauben an seine Eltern erschüttert, wir waren die eigentlich Schuldigen. Er nennt uns seither nur »Lügenpappi« und »Schlangenmammi« und zeltet vor dem Bildschirm, bis der Morgen dämmert. In den ersten Nächten sah ich noch ein paarmal nach, ob er ohne uns fernsieht, aber er schlief den Schlaf des halbwegs Gerechten. Wir ließen es dabei. Wir machten erst gar keinen Versuch, ihn zur Übersiedlung in sein Bett zu bewegen. Warum auch? Was tat er denn Übles? Fliegenfangen oder Katzenquälen wäre besser? Wenn er fernsehen will, soll er fernsehen. Morgen verkaufen wir den verdammten Kasten sowieso. Und kaufen einen neuen.
     

Ich rufe noch einmal an
     
     
    Die hebräische Telefonistin ist in der Regel ein stämmiges Sabra-Mädchen mit Basiliskenblick und drei Armen. Sie trägt dunkle Pullover, hustet am Morgen und haßt mich. Gegen Mittag spitzt sich die Situation so heftig zu, daß es beinahe zu Verbalinjurien kommt. Vermittlungsversuche enden mit einem Fiasko, als hätten die Vereinten Nationen interveniert. Mit knapper Not einigen sich beide Seiten auf Feuereinstellung und eine Waffenstillstandslinie.
     
    Die Kampfhandlungen beginnen, sobald ich eine Nummer wähle. Auf der andern Seite der Barrikade, am Schaltbrett eines Apartmenthauses, hebt die Telefonistin den Hörer ab und sagt:
    »…«
    Sie sagt, anders ausgedrückt, nichts. Sie hebt nur ab. Sie erzeugt Stille, hörbare, laute, trommelfellzerreißende Stille. Bestenfalls vernimmt man irgendwo im Hintergrund ganz leise die Stimme des Transportunternehmers Silbermann, der einen seiner Geschäftspartner beschwört, um Himmels willen auf die neue Adresse zu achten, nicht so wie letzte Woche, als eine dringend erwartete Lieferung…
    An dieser Stelle fahre ich dazwischen und rufe:
    »Hallo! Hallo!«
    Die Telefonistin empfängt meine Stimme, tut jedoch nichts dergleichen, sondern deponiert sie in der Tiefkühlanlage, voll Hoffnung, daß ich aus einem Münzfernsprecher spräche, also nicht willens wäre, ganz einfach abzuhängen und solcherart die Fernsprechmünzen zu opfern. Im Eigenheim ist das natürlich anders. Da kann man sich frei bewegen, kann die hebräische Stille sich selbst überlassen, kann in die Küche gehen, ein Sandwich zurechtmachen, eine Flasche Bier öffnen und zum Telefon zurückkehren, gerüstet für eine lange Belagerung.
    »Hallo«, sage ich nach neuerlichem Abheben des Hörers, und wiederhole, mein Sandwich kauend: »Hallo.«
    Jetzt kann es geschehen, daß eine Antwort kommt. Der elementare Haß der Telefonistin hat ja im Grunde nichts Persönliches an sich. Es ist ein ganz allgemeiner, ein kollektiver Haß. Er richtet sich gegen die gesamte Umwelt, die mit allen erdenklichen Tücken und Listen versucht, bis zum Schaltbrett vorzustoßen.
    Einen persönlichen Anstrich bekommt die Sache erst, wenn die Telefonistin sich meldet:
    »72 95 56, guten Morgen.«
    Namen oder Adressen werden prinzipiell nicht genannt. Sie gehören zu jenen Geheimnissen, die nur einem erwählten Kreis von Intimen offenstehen. Wer diesem Kreis nicht angehört, wird mit der Nummer abgespeist.
    Immerhin – die Verbindung ist hergestellt.
    »Hallo«, sage ich nochmals. »Kann ich mit Herrn Zerkowitz sprechen?«
    »Mit wem?!«
    Sicherheitshalber werfe ich einen raschen Blick auf den Zettel, wo ich die Nummer notiert habe: ja, es stimmt, 72 95 56.
    »Mit Herrn Zerkowitz.«
    »Augenblick.«
    Das dumpfe Knacken herausgezogener und hineingesteckter Stöpsel wird hörbar und verstummt alsbald. Wieder kehrt majestätische Stille ein.
    Gibt es überhaupt einen Herrn Zerkowitz? Und wenn ja, hat er überhaupt ein Telefon? Und wenn er eins hat, ist es diese Nummer?
    Nichts. Kein Laut. So muß den Astronauten hinter der dunklen Seite des Mondes zumute gewesen sein. Vollkommen abgeschnitten von aller Welt.
    Ab und zu rufe ich ein hoffnungsloses »Hallo« in den Hörer, ab und zu beklopfe ich ihn und versuche ihm Leben einzublasen. Nichts.
    Nach ungefähr fünfzehn Minuten finde ich mich damit ab, daß dies die Antwort ist: nichts. Denn keine Antwort ist bekanntlich auch eine Antwort. Und die habe ich jetzt bekommen. Ich lege
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher