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Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Titel: Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)
Autoren: Joachim Gauck
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überwölbt von großen Problemen. Aber gerade deswegen müssen wir uns gegenseitig ermutigen, die Herausforderungen von heute mit dem Mut von 1989 anzunehmen. Wir wollen doch auch noch Freiheit nach der Freiheit wachsen sehen.
    4 Auszug aus Joachim Gauck, »Über Deutschland«, in: Weimarer Reden über Deutschland 1994, eine Veranstaltung des Deutschen Nationaltheaters Weimar und der Bertelsmann Buch AG, hg. von der Stadtkulturdirektion Weimar, Weimar 1994, S. 5–15.
    5 Egon Krenz löste Erich Honecker am 18. Oktober 1989 als Generalsekretär der SED ab. Er bekleidete das Amt bis zum 3. Dezember 1989, an dem die letzte Sitzung des Zentralkomitees der SED stattfand.
    6 Etwa hundertzwanzig Bürgerrechtler wurden bei der offiziellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration am 17. Januar 1988 verhaftet, als sie Plakate mit dem Zitat von Rosa Luxemburg »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden« zeigen wollten.
    7 Die Paulinerkirche wurde am 30. Mai 1968 gesprengt; Leipzig sollte zu einer sozialistischen Großstadt umgestaltet werden. Zu Protesten aus studentischen Kreisen kam es sowohl vor wie nach dem Abriss. 2009 wurde ein moderner Bau eingeweiht.

Die Entscheidung fiel für ein
erprobtes Politikmodell
    Universität Chemnitz, 1. Februar 2000, Rede im Rahmen der Reihe »1989/1990 bis 1999/2000: Revolution in der DDR – und zehn Jahre danach« 8
    Ich freue mich, dass es gelungen ist, Personen zusammenzuführen, die sich mit den hier Lehrenden und der Bevölkerung dieser Stadt abseits vom akademischen Betrieb darüber verständigen, was die Ereignisse von 1989/90 gewesen sind und wie wir aus heutiger Sicht dazu stehen. Schon deshalb, weil die Revolution von 1989 »sachsenlastig« war. Wir Norddeutschen sollten dem Sachsenvolk Abbitte tun. Ich möchte daran erinnern, dass man in der Zeit meiner Jugend als Sachse, nichts Böses ahnend, nach Mecklenburg ans Wasser fahren konnte, um zu baden und dabei die leidlich saubere Luft zu genießen, und plötzlich verprügelt wurde – weil man Sachse war. Wir Norddeutschen haben gemeint, das sei natürlich. Uns gingen die Sachsen mit dem von Goethe so geliebten Dialekt auf den norddeutschen Wecker. Außerdem war der SED -Chef Walter Ulbricht Sachse – den mochten die Sachsen zwar noch weniger als wir, aber das wussten wir damals nicht so genau. Wir hatten eine andere Erinnerung. Nach dem Krieg gab es in Mecklenburg-Vorpommern zu wenig Kommunisten. Viele Bürgermeister und Amtsleiter kamen daher aus Sachsen. Wir empfanden diese Menschen als fünfte Besatzungsmacht. Ich bin mittlerweile darüber betrübt, aber zur inneren Einkehr gehört auch, dass man sich an die dunklen Stunden seines Lebens erinnert.
    Aber als die Plauener, die Leipziger, die Dresdner und viele andere auf die sächsischen Straßen gingen, waren sie nicht mehr Diener und Knechte, sie hatten sich vielmehr als Akteure auf der Bühne der Politik zurückgemeldet, ob die Herrschenden es wollten oder nicht. Da entbrannte in meinem Herzen die Liebe zum Sachsenvolk, und sie wird dort nimmermehr weichen. Das sage ich manchmal auch außerhalb von Sachsen!
    Nun zu meiner Person: Ich bin nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen in eine neue Zeit hinein. Die Diktatur blieb, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Als ich in die Schule kam, hatten wir ein »demokratisches« Schulsystem, uns unterrichteten antifaschistische Neulehrer. Mit antifaschistischen Losungen groß geworden, war ich bis zu meinem elften Lebensjahr ein unpolitischer Grundschüler. Da verschwand mein Vater vom Geburtstag seiner Mutter und wurde zunächst nicht wieder gesehen. Es hieß: »Den haben sie abgeholt.« Niemand sagte mir, wer ihn hatte. Man konnte zur Volkspolizei gehen, man konnte zur Partei gehen, zum Landrat, und man konnte zu hohen staatlichen Gremien gehen – vergebens. Wie die Familie später herausbekommen sollte, war mein Vater zunächst sehr nahe bei uns, nämlich in Schwerin am Demmlerplatz, wo einst die Gestapo ihre Inhaftierten eingesperrt hatte und der sowjetische Geheimdienst NKWD/KGB es ihr wenig später gleich tat. Dort, im Keller des Demmlerplatz-Gebäudes in Schwerin, fanden die Verfahren der sowjetischen Militärtribunale statt, in der Regel solche Gerichtsverhandlungen, die mit der Kriegszeit gar nichts zu tun hatten.
    Mein Vater gehörte zur Erprobungsmannschaft eines Schiffes, das für die Sowjetunion gebaut wurde. Ein Besatzungsmitglied war nach West-Berlin abgehauen. Daraufhin haben die russischen Besatzer entschieden,
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