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Nicholas Dane (German Edition)

Nicholas Dane (German Edition)

Titel: Nicholas Dane (German Edition)
Autoren: Melvin Burgess
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ein Gespräch anfingen. Er bückte sich und berührte den Teppich.
    Hier. Hier war sie gestorben. Hier hatte sie gelegen, tot.
    »Der Ofen war an«, sagte Jenny. »Vielleicht war ihr kalt.«
    Auf dem Teppich waren keine Flecken.
    »War’s … Hat sie …«, fing er an. Er wusste nichts über das Sterben. »Hat es wehgetan?«, fragte er.
    Jenny schüttelte den Kopf. »Sie sah sehr friedlich aus«, sagte sie. »Sie hat nicht gelitten.« Jenny hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken, das plötzlich in ihr aufstieg. Gelitten! Hoffe, du hast es genossen, Süße. ’n bessren Kick gibt’s nicht , dachte sie.
    Nick hockte auf dem Teppich. Jenny und Batty Batts standen auf und verließen den Raum. Er konnte hören, dass sie sich in der Küche leise unterhielten. Er dachte an seine Mutter, die hier tot gelegen hatte. Er dachte an ihren Streit am Morgen und daran, wie sie zu der Musik von Boy George über den Flur getanzt war. Er versuchte, sich eine Träne abzuquetschen, aber es ging nicht. Es war einfach noch nicht wirklich. Er wollte zu Mrs Batts und Jenny in die Küche gehen und die Antworten aus ihnen herausschütteln – wie, warum, wann? Wieso? Er wollte fragen, ob er die Leiche sehen könne, aber auch das brachte er nicht fertig. War es verkehrt, wenn er den Leichnam seiner Mutter sehen wollte?
    So blieb er einfach nur auf Knien dort sitzen und blickte in die Gasflammen und wartete auf das, was als Nächstes geschehen würde.
    Ein paar Stunden später saß Nick im Wohnzimmer von Jennys kleinem Reihenhaus in Middleton. Seit Jahren war er nicht mehr dort gewesen, seit er klein war, und jetzt fühlte er sich zu groß für den Raum, kam sich vor wie ein Monstrum, dem die Trauer wie eine riesige Narrenkappe auf dem Kopf saß. Der Junge ohne Eltern. Jennys zwei Kinder saßen im Schlafanzug vor dem Fernseher und aßen ihre Weetabix. Grace, mit neun Jahren die Ältere, ignorierte Nick geflissentlich. Das kam ihm entgegen. Auch er wollte jetzt nicht reden müssen. Er wusste genau, was ihr durch den Kopf ging.
    »Wie ist das, wenn man keine Mutter hat?«, würde sie überlegen. Das war eine Frage, die Nick gerne selbst gestellt hätte. Bis jetzt – und das konnte er sagen, ohne mit Widerspruch rechnen zu müssen – war es scheiße.
    Der kleine Junge sah nicht neugierig aus. Sondern verängstigt. Jenny beugte sich zu ihm hinab.
    »Was will’n der?«, flüsterte der Junge laut.
    »Er will gar nichts«, antwortete Jenny ebenfalls flüsternd. »Er bleibt einfach eine Weile bei uns, das ist alles.«
    »Wie lange bleibt er?«, fragte der kleine Joe.
    »Ich weiß es nicht. Iss deine Weetabix, Joe, und hör auf, ihn anzustarren.«
    Joe war erst fünf, aber er hatte längst genug von den großen Kerlen, die bei ihm zu Hause aufkreuzten und sich aufspulten. Jenny war bekannt dafür, dass sie immer die falschen Männer anschleppte. Und Nick machte die Sache auch nicht besser, so wie er da vor dem Fernseher saß, kein Wort sagte und ein Gesicht machte, als hätte er gerade einen Geist gesehen.
    Sobald die Kinder abgefüttert waren, jagte Jenny sie trotz ihres heftigen Protestgeschreis früher als sonst nach oben und versprach ihnen dafür besonders viele Gute-Nacht-Geschichten. Nick brauchte ein bisschen Zeit für sich. Seit er es erfahren hatte, war er nicht eine Sekunde lang allein gewesen. Er sollte Gelegenheit bekommen, sich mit der Tatsache vertraut zu machen, dass die arme Muriel für immer weg war.
    »Nick, du kannst heute Nacht in meinem Bett schlafen«, sagte Jenny, als sie nach einer Stunde Geschichtenerzählen herunterkam. »Du musst nicht auf der Couch schlafen. Bei Joe ist kein Platz und zu Grace ins Zimmer kann ich dich ja schlecht stecken, oder?«, sagte sie lächelnd. »Mädchen in dem Alter brauchen ihre Intimsphäre.« Sie setzte sich neben Nick. »Ich kann es nicht fassen«, sagte sie. Sie zog eine Handvoll feuchter Papiertücher aus dem Ärmel und fing an zu weinen. Nicholas starrte sie an, sah die Tränen, die eigentlich er hätte weinen müssen.
    »Und was passiert jetzt mit mir?«, fragte er.
    »Du kannst so lange hier bleiben, wie du willst, das habe ich dir doch schon gesagt«, sagte Jenny.
    »Hier ist kein Platz.«
    »Wir schaffen Platz. Das Jugendamt wird deinen Vater oder deinen Großvater finden …«
    »Die kenn ich doch gar nicht«, rief Nick. Er sprang auf. »Ich kann doch nicht zu Leuten, die ich gar nicht kenne.«
    »Das wird schon alles. Erst mal ist wichtig, dass du so lange wie nötig hier
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