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Nicholas Dane (German Edition)

Nicholas Dane (German Edition)

Titel: Nicholas Dane (German Edition)
Autoren: Melvin Burgess
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hatte ihr Glück kaum fassen können, als sie Mo am Tag zuvor am Zeitungsstand getroffen hatte. Mo war über Nacht bei seinem Bruder geblieben und hatte ihr am Morgen auf dem Heimweg was vorbeigebracht – wirklich sehr nett von ihm. Mo war bestimmt nicht oft morgens um sieben schon auf den Beinen, jede Wette.
    Doch gefährlich war’s auch. Viel zu bequem. Einen Dealer gleich um die Ecke konnte sie eigentlich überhaupt nicht gebrauchen. Gestern noch hätte sie per Bus zu ihm fahren müssen, mit einmal Umsteigen. Heute wusste er sogar, wo sie wohnte! Scheiße. Aber er besuchte seinen Bruder nicht sehr oft … Das könnte schon gehen …
    Drei- oder viermal im Jahr. Warum nicht?
    Muriel wusste, dass sie eigentlich auf Jenny warten sollte, aber sie schaffte es nicht. Sie schob die Nadel in die Vene und schloss die Augen. Himmlisches rann in ihren Arm. Es gab nichts Schöneres auf Erden.
    Sie seufzte und beugte sich vor, bis ihr Kopf vor den Knien auf dem Boden ruhte und ihr Arm mit der Nadel in der Vene ausgestreckt vor ihr lag. Glückseligkeit durchströmte sie, und sie hörte auf zu atmen. Und genau so lag sie noch anderthalb Stunden später, als Jenny kam, um sich auch ein bisschen Glückseligkeit zu gönnen. Als auf ihr Klopfen niemand öffnete, guckte sie durch die Gardine und sah Muriel auf dem Teppich vor dem Gasofen liegen. Sie donnerte gegen den Fensterrahmen, dann rief sie laut nach Muriel. Sie rammte die Schulter gegen die Tür, holte sich aber nur blaue Flecken. Also lief sie nach nebenan zu Mrs Ash, die einen Schlüssel hatte. Als die beiden Frauen im Haus waren, fiel Jenny als Erstes auf, dass Muriel auf der einen Seite kühl war und auf der anderen Seite warm vom Gasofen.
    Mrs Ash rannte hin und her, rief die Polizei und kochte Tee für Jenny. Wozu nur die Hektik? Jenny blickte gierig auf das Tütchen mit dem Heroin, das neben ihrer Freundin auf dem Boden lag. Himmel, war das schwer, einfach dazuhocken und stillzuhalten. Sie hätte das Zeug in ihre Handtasche stecken und gehen können … Aber Mrs Ash hatte das Tütchen bestimmt gesehen. Das Risiko war zu groß.
    Besorgt fuhr Jenny durch ihre Taschen und ihren Beutel, um sicherzustellen, dass sie nichts Verräterisches bei sich hatte, auch wenn sie nicht glaubte, irgendjemand würde sie durchsuchen wollen – das wäre doch zu herzlos, die Panik konnte sie sich schenken … Aber trotzdem hieß das noch lange nicht, dass sie nun gar nicht unter Beobachtung stehen würde. Da ging sie lieber auf Nummer sicher.
    Mrs Ash kam mit einem dampfenden Becher in der Hand aus der Küche, stellte sich neben Jenny und betrachtete die Leiche auf dem Fußboden.
    »Ich hatte ja keine Ahnung, ich hatte keine Ahnung«, sagte sie immer wieder. »Haben Sie es gewusst?«, fragte sie Jenny.
    »Früher«, sagte Jenny, »da haben wir beide gedrückt. Das war …« Ihr blieb die Stimme weg. Was für eine Ungerechtigkeit! Wenn sie daran dachte, was Muriel und sie zusammen alles durchgemacht hatten. Und ausgerechnet jetzt, nachdem sie wochen- und monatelang nichts genommen hatten, musste Muriel sich einen goldenen Schuss setzen. Gerade als es richtig gut bei ihr lief, wurde ihr einfach das Leben genommen. All die Jahre war Muriel ein Genie gewesen, ohne dass eine von ihnen was davon geahnt hätte. Und jetzt, da auf dem Teppich, war sie nichts weiter als ein langsam abkühlender Fleischklumpen, der aussah wie Muriel.
    Wenigstens hatte Nick sie nicht so vorfinden müssen. Dann dachte Jenny: Nicholas! Was um Himmels willen sollte jetzt mit dem Jungen werden, ohne Muriel? O Gott. Nick hatte nicht eine Menschenseele auf dieser Welt.

2
  Bei Jenny
     
    Nick ging an jenem Tag nicht zum Unterricht. Wenn er schon so früh aufgestanden war, wollte er sich nicht auch noch langweilen müssen. Also schaute er erst mal bei seinem besten Freund Simon vorbei. Der saß noch beim Frühstück, als Nick bei ihm ans Fenster klopfte. Gemeinsam holten sie Jeremy ab, und damit war das Trio komplett. Sie waren Freunde, seit sie vor zehn Jahren eingeschult worden waren – nein, länger, denn sie hatten schon im Kindergarten miteinander gespielt. Die drei gehörten zusammen, solange sie denken konnten.
    Zunächst gingen sie zur Schule und trugen sich in die Anwesenheitsliste ein. Aber noch vor Unterrichtsbeginn waren sie wieder draußen. Da Jeremys Mutter tagsüber arbeitete, gingen sie wie immer zu ihm nach Hause. Sie brühten sich löslichen Kaffee und tranken ihn zum Frühstücksfernsehen.
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