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Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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auf die Schulter, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. »Die Wahrheit!« brüllte sie außer sich und starrte die Hexe an.
    Der Druck auf ihre Schulter wurde stärker, und ehe Kriemhild sich versah, wurde sie von Berenike fortgerissen und herumgewirbelt. Etzel blickte sie düster an, als suchte er in ihren Augen nach einem Weg, sie wieder zu sich zu bringen. Er holte aus, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Im selben Moment aber kam Kriemhild zur Besinnung. Sie versuchte, sich aus Etzels Griff zu winden, doch die Hände des Hunnenprinzen waren stark wie Eisenzwingen.
    »Sie hat dir die Wahrheit gesagt!« sagte er scharf. »Es stimmt mit allem überein, was unsere Weisen vorausgesehen haben.«
    »Eure Weisen?« Kriemhild stieß ein hysterisches Lachen aus. »Was kommt noch? Hexen, Seher – als nächstes vielleicht ein paar christliche Priester? Herrgott, glaubt denn jeder hier an das, was diese Alte faselt? Seht Ihr denn nicht, daß es nur Euer Glaube ist, der diese Dinge geschehen läßt?«
    »Denkt Ihr, das wüßte ich nicht?« zischte er und zerrte sie mit sich zur Tür.
    »Dann tut etwas dagegen, verdammt!«
    Sie stolperten hinaus, und Etzel schlug die Kammertür zu, ohne den Schlüssel herumzudrehen. Während er Kriemhild die Stufen hinabdrängte, war sein Blick gleichbleibend finster, als verzehre ihn eine Wut, auf die er längst keinen Einfluß mehr hatte.
    »Man kann einen Glauben nicht ablegen wie ein zerrissenes Hemd, Prinzessin.« Er war so aufgebracht, daß sie einen Augenblick lang glaubte, er würde sie doch noch töten. »Wahrer Glaube unterscheidet sich nicht von Wissen, und was ich weiß, kann ich nicht verleugnen.«
    Tränen strömten über Kriemhilds Wangen, aber sie achtete nicht darauf, während sie rückwärts vor ihm die Treppe hinabstolperte. »Es muß doch einen Weg geben!«
    Etzel aber schüttelte nur den Kopf. »Wir selbst sind es, die die Vernichtung über uns bringen. Versteht Ihr das nicht? Es ist unser Glaube, unser Wissen.« Plötzlich blieb er stehen, setzte sich auf die Stufen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Unsere eigene Überzeugung wird uns töten, und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten.«
    Kriemhild fiel vor ihm auf die Knie, nur eine Stufe tiefer. »Aber das ist nicht wahr! Ihr selbst toleriert, was geschieht. Es ist Euer Priester, der das Feueropfer vollzieht, und damit den Glauben vervielfacht an das, was kommen wird. Ihr habt es ihm erlaubt, Etzel! Und nur Ihr könnt es noch verhindern. Es wäre ein erster Schritt, diesem Wahnsinn entgegenzutreten.«
    Er hob das Gesicht und sah ihr in die Augen. Sein Blick war müde, sein Haar zerzaust. »Merkt Ihr es denn nicht, Prinzessin? Merkt Ihr nicht, daß auch Ihr selbst längst daran glaubt?«
    Und da erst begann Kriemhild vollends zu begreifen, was Berenike ihr angetan hatte.
     

     
    Der Weidenmann brannte lichterloh, und längst waren die Schreie in seinem Inneren verstummt. Schwarzer, fettiger Qualm stieg als breite Säule zum Himmel empor, und selbst die beiden Raben, die seit einer Weile über der Festung schwebten, mieden die Nähe der stinkenden Schwaden. Der Geruch von verbranntem Fleisch hing zwischen den Mauern und würde wohl erst vom nächsten Regen wieder fortgespült werden. Zugleich ging ein feiner Ascheschauer auf Dächer und Durchgänge nieder, legte sich über das Metall der Rüstungen und Waffen.
    Der Hunnenpriester stand wie versteinert vor dem lodernden Götzen, während die Krieger im Hintergrund unruhig von einem Fuß auf den anderen traten, miteinander flüsterten oder sich gänzlich von dem grausigen Schauspiel abwandten.
    Jorin vermochte von seinem Versteck auf den Zinnen aus nicht in den Gesichtern der Männer zu lesen – ohnehin kamen ihre fremdländischen Züge ihm wie teuflische Masken vor –, aber das Raunen aus der Menge verriet ihm deutlich, daß nicht jeder der Hunnen mit dem Opfer einverstanden war. Bevor Hagen den Jungen in dem Versteck zurückgelassen und sich allein auf den Weg ins Innere der Festung gemacht hatte, hatte Jorin den Krieger auf seine Beobachtung angesprochen; doch Hagen hatte nur den Kopf geschüttelt und geflüstert, daß die Barbaren wohl enttäuscht waren, daß der Priester ihnen verboten hatte, ihren Spaß mit den kreischenden Weibern zu haben.
    Hagen war schon eine ganze Weile fort, und Jorin kam sich sehr hilflos vor. Dabei schien sein Versteck verhältnismäßig sicher zu sein: Er kauerte hinter einigen Kisten, oben auf den nördlichen Zinnen, und
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