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Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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Recht, an der Entscheidung teilzuhaben.« Sie zögerte einen Moment, ehe sie abrupt das Thema wechselte. »Sagt, warum habt Ihr eigentlich die Festung nicht längst verlassen?«
    »Der Priester hat darauf bestanden, das Ritual zu vollziehen.«
    »Und Ihr opfert ohne weiteres Euer eigenes Leben für den Starrsinn eines anderen?«
    »Noch besteht die Möglichkeit, daß das Ritual die Götter besänftigt.«
    Kriemhild verzog abfällig das Gesicht, erwiderte aber nichts. Sie durchschaute Etzels wahre Beweggründe: Wenn er mit ihr als Geisel heimkehrte, dazu mit dem Bericht des Priesters, daß der Prinz eine heraufziehende Götterdämmerung abgewendet hatte, war Etzels Thronfolge nicht länger nur eine Frage der Abstammung. Man würde seine Taten im ganzen Hunnenreich besingen.
    Ein markerschütternder Schrei riß sie aus ihren Gedanken.
    »Das kam vom Hof!« Etzel drängte von hinten gegen sie. Kriemhild mußte die letzten Stufen mit weiten Sätzen hinabspringen, um nicht unter seinem Anprall zu stolpern. Im Erdgeschoß stieß er sie grob beiseite und stürmte hinaus ins Freie. Kriemhild folgte ihm ohne Groll. Sie rannten durch eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern und erreichten den freien Platz im Norden der Festung.
    Der Weidenmann war bis auf das Pflaster heruntergebrannt. Die Flammen schlugen immer noch mannshoch aus der Asche, doch es war abzusehen, daß sie bald verlöschen würden. Im Gewirr der Überreste des Götzen waren die verbrannten Leichen der Frauen nicht mehr zu erkennen; unmöglich zu sagen, was Zweige und was verkohlte Knochen waren.
    Vor dem Feuer standen zwei Hunnen und hielten eine Gestalt, die sich verzweifelt zur Wehr setzte. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Kriemhild Jodokus. Die Hunnen machten Anstalten, ihn ins Feuer zu stoßen!
    Sie schrie wutentbrannt auf und wollte vorstürzen, doch Etzel packte sie am Arm und riß sie zurück.
    »Laßt mich los!« brüllte sie ihn an und schlug mit den Faust auf ihn ein.
    Etzel aber beachtete sie kaum. Er sah auch nicht zu Jodokus hinüber. Statt dessen war sein Blick hinauf zu den Zinnen gerichtet. Dort stand, unweit einer Reihe von Kisten und Fässern, ein Hunnenkrieger und stützte sich mit beiden Händen auf die Mauer. Er hatten ihnen allen den Rücken zugewandt und schaute über die Zinnen hinweg ins Tal. Dabei rührte er sich nicht, als sei er vor Entsetzen zu Stein erstarrt.
    Da erst begriff Kriemhild, daß es nicht Jodokus gewesen war, der den furchtbaren Schrei ausgestoßen hatte.
    Etzel rief etwas in der Sprache des Hunnenvolkes zu dem Mann hinauf. Der Krieger antwortete nicht. Erst als auch der Priester die Stimme erhob, wandte der Mann sich langsam um. Selbst gegen den hellblauen Himmel war deutlich zu erkennen, wie bleich er geworden war. Seine Augen waren weit aufgerissen. Stockend rief er einige Worte in den Hof hinunter, und sogleich ging ein aufgeregtes Raunen durch die Reihen der Hunnenkämpfer. Die beiden, die Jodokus festhielten, rührten sich nicht; in der Aufregung hatte ihr Auftrag an Bedeutung verloren.
    Etzel nahm sich nicht die Zeit, Kriemhild irgend etwas zu erklären. Er ließ sie los und stürmte auf die nächstgelegene Treppe zu, die hinauf zum Wehrgang führte. Kriemhild wollte ihm folgen, doch mehrere Krieger verstellten ihr den Weg. Etzel rief ihnen, ohne sich umzudrehen einen Befehl zu, so daß sie eilig zurücktraten. Sogleich sprang Kriemhild hinter dem Prinzen die Stufen hinauf. Einige Hunnen wollten den beiden folgen, doch der Priester hielt sie mit keifenden Rufen zurück. Was immer der Wächter auf den Zinnen entdeckt hatte, es ließ den Priester um seine Autorität fürchten.
    Kriemhild holte Etzel noch auf der Treppe ein. Gemeinsam traten sie an die Zinnen und blickten in die Richtung, in die der Wächter gedeutet hatte.
    Der Anblick war enttäuschend und beruhigend zugleich. Vor ihnen wogte das weiße Nebelmeer und deckte das Tal mit seinen Schwaden vollkommen zu. Erst nach einigen Herzschlägen fiel Kriemhild auf, daß die Tannen und Fichtenwipfel, die noch bei ihrer Ankunft an einigen Stellen aus dem Dunst geschaut hatten, verschwunden waren. Ein Blick an der Burgmauer hinab bestätigte, ihr daß sich der Nebel gehoben hatte, um mindestens vier oder fünf Mannslängen. Die Klippe, auf der Berenikes Hort ruhte, war bereits im Nebel versunken wie ein leckgeschlagenes Schiff, und nun griffen die Dunstarme auch nach den Granitmauern.
    Etzel fuhr den Wächter gereizt in seiner Sprache an, und der Mann
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