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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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ließ nicht lange auf sich warten. »Jemand hat gelauscht«, keuchte er atemlos. »Aber er ist mir entwischt.«
    »Er entwischt jedem«, sagte Obbo. »Wir nennen ihn den Geist.«
    »Ein Geist?« Löwenzahn wurde bleich. Unter seinen schwarzen Haarzotteln war seine Blässe noch auffälliger.
    »Kein echter – glauben wir zumindest.« Mütterchen war sichtlich erfreut über die Furcht des Kriegers vor Gespenstern. Sie hatte ihm das »alte Vettel« noch lange nicht vergeben. »Es ist irgendein Wesen, wahrscheinlich gar ein Mensch wie wir alle, der draußen im Wald lebt. Er zeigt sich niemandem, nur hin und wieder bemerkte man, wie er hinter Bäumen und Fenstern einherhuscht. Immer ist er vermummt, in irgendwelche Gewänder oder Bandagen. Eine traurige, einsame Kreatur. Obbo stellt ihm gelegentlich etwas zu essen an den Waldrand.«
    Löwenzahn legte den Bihänder zu Boden und setzte sich wieder. »Hm-hm«, machte er, ohne es näher zu erläutern.
    Alberich stand auf.
    »Wo willst du hin?« fragte Mütterchen. »Wir sollten uns alle fertigmachen für die Reise.«
    Der Zwerg ging zur Truhe und fischte seine Geißel hervor. »Ich gehe zum Berg«, knurrte er. »Laßt den Drachen Drachen sein. Ich brauche seinen Zauber nicht.«
    Und noch ehe einer der anderen widersprechen konnte, war er bereits zur Tür hinaus und tauchte in die Schatten des Waldes.
     

     
    Der Hohle Berg war die niedrigere der beiden Erhebungen, die von der Halbinsel des Nibelungengeschlechts hoch auf in den Himmel ragten. Der Rhein umspülte strudelnd ihre Klippen, und uralt war die Legende von den Rheintöchtern, die aus den Tiefen des Flusses die Insel bewachten. Doch auch sie hatten Siegfried, dem Nibelungentöter, keinen Einhalt bieten können, als er die Erben des Hortes niedermachte. Weder hatten sie den Versuch unternommen, noch hatten sie nur ihre blonden Schöpfe aus den Fluten gereckt. Genaugenommen hatte niemand sie seit vielen Jahrhunderten gesehen, nicht einmal Alberich, der länger auf der Halbinsel hauste als jeder andere. Wahrscheinlich, so vermutete er, waren die Rheintöchter längst weitergezogen und trieben ihren Schabernack anderswo an den Ufern des Stroms. Ihm sollte es recht sein. Er verabscheute das tändelnde Pack, das in der Dunkelheit der Rheinklüfte von Sonne und Liebesglück träumte.
    Der bewaldete Landsteg, der Ufer und Insel miteinander verband, war an die hundert Schritte breit. Alberich, der das Wasser nicht mochte, hielt sich so gut es nur ging in seiner Mitte, um den Wogen nicht zu nahe zu kommen. Das ewige Brausen der Wellen drang durch die Büsche und Äste, und ihr Seufzen ließ den Horthüter schaudern.
    Nicht, daß er Wald weit über Wasser schätzte! Sein Element war der Stein, die Kühle der schwarzen Bergestiefen, die domhohen Hallen und verwinkelten Stollen. Der Hohle Berg war sein Zuhause, seit er denken konnte, und er würde nicht zulassen, daß Räuberpack und Hunnenhorden ihn von hier vertrieben. Niemandem war das gelungen, nicht einmal den Dienern der Götter, die gelegentlich übers Weltenantlitz streiften.
    Aber das war lange her, und stets war ihm dabei der Zauber der Tarnkappe zu Diensten gewesen. Jetzt aber war er nur noch ein Zwerg, kraftvoll zwar, mit kurzem, starkem Schwertarm, aber er mußte sich eingestehen, daß er einer Übermacht von tausend oder vielleicht zweitausend Gegnern kaum gewachsen war. Mütterchen Mitternacht hatte recht. Eine neue Magie mußte her.
    Er stieg den Pfad zum Hohlen Berg hinauf, ein zerklüfteter Felsenturm, dessen Hänge nur spärlich mit Wald und Buschwerk bewachsen waren. Allein das hohe Tor aus Eisen, hergestellt von Albenschmieden, den Ahnen des Zwergengeschlechts, lag inmitten eines Tannenhains. Die Baumwipfel schützten es vor neugierigen Blicken vom Flußufer.
    Alberich steckte seinen Schlüssel ins Schloß, sprach die nötigen Wunderworte und schob das Tor nach innen, so leicht, als sei es aus Papier. Hinter ihm schloß es sich wieder mit dumpfem Donner.
    Durch ein Labyrinth von Stollen und Gängen, durch Hallen aus Granit und Lavagestein, über schmale Felsbrücken, die schwarze Abgründe überspannten, und unter Kuppeln aus purem Bergkristall stieg Alberich in die untersten Ebenen des Berges. Vorbei an alten Zwergenschmieden, die seit Jahrhunderten ungenutzt blieben, vorüber an alten Wohnkammern und Speisesälen, alle verlassen, suchte er sich seinen Weg zur Halle des Hortes, weit, weit unter dem Rhein und den Landen an seinen Ufern. Hoch über ihm,
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