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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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schlechte Zeit gewesen für Obbo und den Wolfswinkel. Zwar hatten es die Krieger ohnehin vorgezogen, ihre Feste und Zechereien in der Burg abzuhalten, doch hatten sie sich stets zum ersten Tag des Frühlings in Obbos Schänke eingefunden. Wer die meisten Fußnägel in seiner Pfeife rauchte, der durfte mit seinen Freunden auf Kosten des Hauses trinken – bis zum nächsten Hahnenschrei. Ein verlockendes Angebot.
    Jetzt aber kamen kaum noch zahlende Gäste, und vor allem einer, der verläßlichste Stammgast von allen, hatte sich seither nicht mehr blicken lassen. Er war der Wächter vom Hohlen Berg, der Horthüter, und es schien, als hätte er der Geselligkeit abgeschworen.
    Obbo seufzte tief und beklagte innerlich das Schicksal, das der Xantener über das Nibelungenreich gebracht hatte. Gerade wollte er sich abwenden und zurück zum Wirtshaus laufen – und vielleicht unterwegs noch hier und da im Garten verweilen und den Fröschen bei der Fliegenjagd zusehen –, als etwas Unverhofftes geschah.
    Zum ersten Mal seit Wochen stieg Rauch aus den Schloten des Hohlen Berges. Nicht der fettig schwarze Qualm der Leichenbrände, der die Burg so lange umlagert hatte – nein, dies war feiner, weißer Rauch, ausgepafft in kleinen runden Wölkchen. Das Signal.
    Das Signal ! durchfuhr es Obbo noch einmal, und vor Schreck stolperte er über die eigenen Füße. Fluchend und keuchend kippte er nach hinten und kugelte den Hang hinunter, abwärts in den Garten, mit wedelnden Armen und schmerzenden Knien. Hinter ihm blieb eine breite Schneise aus abgeknickten Hasenglöckchen zurück.
    Unten rappelte er sich auf, schüttelte Halme und Schmutz aus seinem lichten Haar und schimpfte lauthals. Dann besann er sich.
    Himmelsapperlot, das Signal! Nach all den Tagen war es wieder aufgestiegen! Und er hätte es beinah übersehen. Unverzeihlich, un-ver-zeih-lich!
    Auf seinen Stummelbeinen wackelte er durch den Garten zum Wirtshaus, riß die Hintertür auf und stürmte in die Küche. Wo waren nur die frischen Eier? Wo das ausgelassene Schmalz? Wo die Zunderbüchse und wo das Salz? Verteufelt nochmal, solche Aufregung, solch ein Durcheinander!
    Er schürte das Feuer unterm Bratstein, schlug die Eier auf – sie standen hinter den Würzdosen, der Teufel selbst mußte sie dort verborgen haben – und goß sie in eine Holzschale. Dann beschmierte er den kühlen Stein mit Schmalz. Es würde ewig dauern, bis die Oberfläche erhitzt war. Verflixt, verteufelt und verdammt!
    Wieviel Zeit blieb ihm noch? Das Signal war erst vor kurzem aufgestiegen. Alberich würde sich gleich auf den Weg machen. Nicht ein einziges Mal war es vorgekommen, daß die Eier-im-Schmalz noch nicht fertig waren, wenn Alberich zur Schänke kam. Seit Jahren – wie vielen eigentlich? Siebzig, achtzig? – war der Horthüter Stammgast im Wolfswinkel, war es schon gewesen, als noch Obbos Großvater die Fässer anschlug. Und in all der Zeit hatte das Signal bedeutet: Alberich kommt, laßt die Eier brutzeln! Niemals war er enttäuscht worden, niemals.
    Und nun das!
    Der Stein war so kalt wie der Hintern einer Wasserleiche. Obbo begann zu schwitzen. Was würde Alberich tun, wenn die Eier noch nicht fertig waren? Wüten und schreien, zweifellos. Die Einrichtung der Schänke zerschlagen – es wäre nicht das erste Mal –, Obbo an den Kragen gehen, das Bier für viele Taler verschütten. Vielleicht sogar Mütterchen Mitternacht aufstacheln, es ihm gleichzutun.
    O nein, o nein, o nein! Obbo schlug die Hände vors Gesicht und lief schwitzend in der Küche auf und ab. Wäre nur der Knecht zur Hand, er hätte ihn verdreschen können. Alles hätte gleich viel freundlicher ausgesehen. Aber der Knecht war im Stall, lag wahrscheinlich im Stroh und schnarchte seinen Rausch aus. Der faule Sack, der erbärmliche!
    Immer wieder befühlte Obbo den Stein, verrieb das Schmalz mit den Fingern, in der Hoffnung, das könne den Vorgang beschleunigen. Aber, Schimpf und Schande, das tat es nicht. Das Feuer loderte und zischte, fauchte wie ein wildes Tier, doch der Stein blieb kalt.
    Wochenlang, seit dem Blutbad des Xanteners, hatte Alberich nichts von sich hören lassen. Kein Signal, keine morgendlichen Eier-im-Schmalz. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten war das Ritual des Frühstücks vernachlässigt worden. Durfte er da verlangen, daß der Stein schon vorgeheizt, das Schmalz zerlaufen war?
    Ob er durfte oder nicht, er würde es verlangen. Denn das war die Natur des Horthüters, ein Wüterich, wie es nur einen
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