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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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jenseits des Gipfels, überquerte die Sonne fast den halben Himmel, ehe Alberich sein Ziel erreichte. Dann aber lag er vor ihm, der Hort des Fürsten Nibelung, der goldene Schatz der Schätze.
    Am Grunde eines Felsendoms befand sich ein Gebirge aus Gold und Geschmeide, aus Edelsteinen und Kristall. Der Stollen, der zur Horthalle führte, mündete hoch oben in die Wand des Doms. Es gab keine Balustrade, nicht das schlichteste Geländer. Der Gang brach einfach ab, und dahinter lag der Abgrund des Felsendoms. Nur über eine schmale Treppe, rund um die Halle in die Wände gehauen, konnte man bis hinab in die Goldberge steigen. Alberich war seit Jahrzehnten nicht mehr dort unten gewesen. Selbst der verfluchte Siegfried hatte sich mit einem Blick von hier oben zufriedengegeben. Der Abstieg über die Treppe allein dauerte mehr als einen halben Tag, denn es waren Tausende und Abertausende von Stufen, die sich um die Halle schlängelten.
    Alberich setzte sich an die Kante und ließ die dürren Beine baumeln. Er nahm den Helm vom Kopf und schüttelte sein lichtes Haar. Auch die Brünne drückte ihn, aber er wagte nicht, sie abzulegen.
    Ach, dachte er wehmütig, wie einfach war alles doch damals gewesen.
    Damals, als es noch andere wie ihn hier unten gab, ein ganzes Zwergenvolk, das in emsiger Arbeit schuf, was jetzt am Grunde der Horthalle lag. Treu ergeben den Urahnen Nibelungs, und ihm verpflichtet bis zum Tod. Doch die Zwerge waren allmählich verschwunden, viele starben, einige gingen auch fort und schlossen sich verwandten Völkern an, hoch oben im Norden, wo die Nächte lang und die Winde so eisig wie Felsquellen waren.
    Alberich war geblieben, gebunden an den Treueeid der Nibelungen. Was immer seine Vorfahren im Berg dahingerafft hatte, Krankheit oder Feind oder beides, es traf ihn nicht. Er lebte ganz allein hier unten, und fort ging er nie, außer an manchen Morgen, wenn er im Wolfswinkel Obbos Eier-im-Schmalz aß. Er verabscheute Reisen, wohl weil er nie eine gemacht hatte, und die Vorstellung, seinen Hort für Tage oder Wochen sich selbst zu überlassen, wäre für ihn nie in Frage gekommen, wenn nicht, ja, wenn nicht der Xantener aufgetaucht wäre.
    Jetzt saß er da, ohne Tarnkappe, ohne Hoffnung, und er wußte, daß die Reise unumgänglich war. Er unternahm sie besser heute als morgen, noch dazu an der Seite von Mütterchen Mitternacht, der er wenigstens trauen konnte. Was aber diesen Löwenzahn anging – allein der Name! –, so hatte er erhebliche Zweifel. Ein Hunnen-Bastard auf der Suche nach Ruhm. Es war beinahe lächerlich.
    Er grübelte lange und genau, und das leise Brummeln, das dabei über seine Lippen kroch, hallte von den Felsklüften wider. Immer wieder ließ er seine Blinke über die Hortberge schweifen, über die endlosen Hügel aus Gold, die aus sich heraus zu leuchten schienen. Es gab keine Fackeln hier unten. Der Hort erfüllte auf wundersame Weise den ganzen Berg mit seinem Glanz, selbst die abgelegensten Stollen und Kammern. Für Alberich war es das größte Wunder der Welt, und ihm galt seine ganze Liebe.
    Es war eine einsame, traurige Liebe, das wußte er, aber es war die beste, die er hatte. Niemand würde sich an seinem Hort vergreifen, kein Unsterblicher und kein Kind einer Menschenmutter.
    Und so kam er nach schmerzlichen Stunden des Abwägens und Nachdenkens zu einer Entscheidung, an der er doch in Wahrheit nie gezweifelt hatte.

Kapitel 2  
    m nächsten Morgen schulterten die drei ihre Rucksäcke, packten ihre Wanderstöcke und führten das Lastpony, das Obbo ihnen zur Verfügung stellte, aus dem Hof des Wolfswinkel hinaus auf den Waldweg. Der Wirt stand am Tor und winkte ihnen nach, rief ihnen die besten Wünsche hinterher und empfahl: »Gebt acht, wenn ihr anderswo Bier trinkt. Nicht jeder achtet wie ich auf die Reinheit des Gesöffs.«
    Im Licht der aufgehenden Sonne bogen sie um die Wegkehre. Obbo und sein Wirtshaus blieben hinter den Bäumen zurück. Allein die Rauchfahne, die aus dem Kamin stieg, war noch eine Weile länger zu sehen. Sie wandten sich nach Norden, denn es hieß, die Drachenheide liege nördlich der Nibelungenfeste, obgleich auch Mütterchen Mitternacht den genauen Weg nicht kannte. Der Händler, der ihr die Geschichte erzählt hatte, war selbst nicht gewiß gewesen, wo nach der Höhle des Drachen zu suchen sei. Allein der Hinweis, das Untier habe auf einer Klippe am Rhein gehaust, gab ihnen die Gewißheit, daß sie den Ort nicht verfehlen konnten. Alles, was sie
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