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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten
Autoren: Philip Kerr
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Advokatenkarriere Abschied zu nehmen.
    Für die Juristenzunft war das wahrscheinlich kein großer Verlust, denn ich hatte wenig Interesse an der Juristerei und noch weniger Talent dazu. Ich hatte diese Laufbahn nur meinem verstorbenen Vater zuliebe eingeschlagen, welcher vor diesem Berufsstand großen Respekt gehabt hatte. Und was hätte ich auch anderes tun sollen? Wir waren keine reichen Leute, wenn auch nicht ohne Beziehungen. Mein älterer Bruder, Charles Ellis, der später Parlamentsmitglied wurde, war damals Untersekretär bei William Lowndes, dem Ständigen Sekretär des Ersten Lords des Schatzamtes. Letztere Position hatte bis zu seinem unlängst erfolgten Rücktritt Lord Godolphin innegehabt.
    Zu dessen Nachfolger hatte der König den bisherigen Schatzkanzler, Lord Montagu, ernannt, welchem Newton seine
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    Bestallung als Münzwart ein sechs Monate zuvor, im Mai 1696, verdankte.
    Mein Bruder erklärte mir, bis zu Newtons Amtsantritt, seien mit dem Münzwartposten so gut wie keine Pflichten verbunden gewesen und Newton habe ihn in der Erwartung angenommen, das Salär für wenig Arbeit kassieren zu können, aber die Große Münzerneuerung habe dem Amt weit mehr Bedeutung verliehen, als es bisher gehabt habe und Newton sehe sich jetzt gezwungen, als oberster Währungsschützer zu fungieren.
    Und die Währung hatte Schutz dringend nötig, denn sie hatte in letzter Zeit sehr gelitten. Hauptzahlungsmittel im Königreich war, da sich Gold kaum im Umlauf befand, das Silbergeld, bestehend aus Sechspence-Stücken, Schillingen, Halben Kronen und Kronen; doch bis zur großen, mechanisierten Neuprägung waren all diese Münzen größtenteils handgeschlagen, mit einem schlecht gekennzeichneten Rand, der dem Abschneiden und Abfeilen Vorschub leistete. Bis auf eine Partie Münzen, die nach der Restauration geschlagen worden war, datierte keins der im Umlauf befindlichen Geldstücke von nach dem Bürgerkrieg und ein Großteil war noch von Königin Elisabeth ausgegeben worden.
    Das Schicksal warf das Münzwesen noch weiter aus dem Ruder, als nach Williams und Marys Thronbesteigung der Gold-und Silberpreis in die Höhe schoss, sodass jetzt der Silberwert eines Schillings den Nennwert weit überstieg. Oder jedenfalls hätte übersteigen müssen. Ein frisch geschlagener Schilling wog dreiundneunzig Gran, obwohl er beim jetzigen Silberpreis nur noch siebenundsiebzig Gran hätte wiegen müssen, aber noch irritierender war, dass, beim abgegriffenen, abgewetzten, beschnittenen und abgefeilten Zustand des alten Geldes, ein solcher Schilling oft nur fünfzig Gran wog. Aus diesem Grund neigten die Leute dazu, die neuen Münzen zu horten und die alten zurückzuweisen.
    Das Münzerne uerungsgesetz war im Januar 1696 vom
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    Parlament verabschiedet worden, was die Lage jedoch nur verschlimmerte, da das Parlament so unvorsichtig war, das Ende des alten Geldes zu beschließen, ehe gesichert war, dass ausreichende Mengen vom neuen existierten und den ganzen Sommer, wenn man diese Zeit angesichts des schlechten Wetters so nennen konnte, war das Geld so knapp gewesen, dass man täglich Unruhen befürchtete. Denn wie sollte man ohne gutes Geld Männer bezahlen, wie Brot kaufen? Als sei das alles noch nicht Sprengstoff genug, addierte sich zu diesen Kalamitäten noch das betrügerische Treiben von Bankiers und Goldschmieden, die, nachdem sie durch Wucher immense Schätze angehäuft hatten, ihr Gold und Silber in Erwartung einer weiteren Wertsteigerung horteten. Ganz zu schweigen von den Banken, die täglich gegründet wurden oder faillierten und der unerträglich hohen Besteuerung von allem und jedem, außer dem weiblichen Körper und einem ehrlichen, lächelnden Gesicht, wobei Letzteres allerdings eine Seltenheit war.
    Tatsächlich herrschte überall ein solcher Mangel an Gemeinsinn, dass die Nation unter der Last all dieser Probleme zusammenzubrechen schien.
    Da Charles wusste, dass ich dringend eine Stellung und Newton nicht minder dringend einen Gehilfen benötigte, ersuchte er Lord Montagu, bei Newton ein gutes Wort für mich einzulegen und das, obwohl Charles und ich uns nicht so gut vertrugen, wie wir es als Brüder hätten tun sollen und einst auch getan hatten.
    Und so wurde es schließlich arrangiert, dass ich zu Doktor Newton in die Jermyn Street gehen sollte, um mich ihm persönlich vorzustellen.
    Ich erinnere mich gut an diesen Tag: Es herrschte grimmiger Frost, man munkelte von weiteren katholischen Verschwörungen gegen
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