Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
den König und die Jagd auf Jakobiter war bereits im Gang. Aber ich erinnere mich nicht, dass Newtons Reputation mein junges Gemüt besonders beeindruckt hätte; im Unterschied zu Newton, der Professor in Cambridge
    -14-

    war, hatte ich in Oxford studiert und wenn ich auch die Klassiker kannte, wäre ich doch zu einem Disput über irgendein mathematisches System, geschweige denn eins, dass das ganze Universum betraf, ebenso wenig fähig gewesen wie zu einer Diskussion über die Natur des Spektrums. Ich wusste nur, dass Newton, so wie Mister Locke und Sir Christopher Wren, zu den gelehrtesten Männern Englands gehörte, ohne dass ich hätte sagen können, warum: Damals waren Spielkarten meine Lektüre und hübsche Mädchen mein Fachgebiet, denn die Frauen hatte ich eingehend studiert und im Gebrauch von Degen und Pistole war ich so versiert wie andere mit Sextant und Zirkel. Kurzum, Unkenntnis des Gesetzes war so ziemlich die einzige Form der Ignoranz, auf die ich mich nicht hätte berufen können. Und doch hatte mich in letzter Zeit, vor allem seit ich die Rechtsschule verlassen hatte, meine Unwissenheit zu bedrücken begonnen.
    Die Jermyn Street war eine erst kürzlich fertig gestellte, recht vornehme Straße am Rand von Westminster und Newtons Haus lag am besseren westlichen Ende, gleich bei der St.-James-Kirche. Um elf Uhr klopfte ich an Doktor Newtons Haustür.
    Eine Haushälterin öffnete mir und führte mich in einen Raum mit einem hübsch warmen Kaminfeuer, wo Newton, ein in rotes Wildleder gebundenes Buch in den Händen, in einem roten Sessel mit rotem Polster saß. Er trug keine Perücke und ich sah, dass sein Haar grau war, aber seine Zähne waren alle noch echt und für einen Mann seines Alters in gutem Zustand. Er trug einen karmesinroten, mit goldenen Knöpfen besetzten Hausrock und ich weiß noch, dass er am Hals einen Pickel oder Furunkel hatte, welcher ihn etwas plagte. Das ganze Zimmer war rot, als ob dort zuweilen ein Blatternkranker läge, denn es heißt ja, dass diese Farbe die Infektion herauszieht. Es war hübsch eingerichtet, mit mehreren Landschaftsgemälden an den Wänden und einem prachtvollen Globus, der eine ganze Ecke auf der Fensterseite einnahm, so als sei dieser Raum das Universum und Newton der Gott darinnen, denn ich fand, dass
    -15-

    er überaus weise aussah. Seine Nase war ganz Nasenrücken und seine Augen, die gelassen blickten, wurden scharf wie Dolche, sobald die Konzentration auf einen Gedanken oder eine Frage seine Stirn furchte. Sein Mund wirkte leicht angewidert, so als fehle es ihm an Appetit und Humor und das grübchengezierte Kinn war im Begriff, sich einen Zwilling zuzulegen. Und wenn er etwas sagte, dann sprach er mit einem Akzent, den ich fälschlicherweise mit Norfolk verband, von dem ich jetzt aber weiß, dass er für Lincolnshire stand, denn Newton war in der Nähe von Grantham geboren. An dem Tag, als ich ihn kennen lernte, stand er ungefähr einen Monat vor seinem vierundfünfzigsten Geburtstag.
    «Es ist nicht meine Art», sagte er, «von Dingen zu sprechen, die nichts mit meinem Anliegen zu tun haben. Lasst mich daher direkt zur Sache kommen, Mr. Ellis. Als ich Münzwart Seiner Majestät wurde, dachte ich nicht, dass mein Leben künftig damit ausgefüllt sein würde, Münzminderer und Münzfälscher aufzuspüren, zu verfolgen und zu bestrafen. Da ich jedoch ebendiese Entdeckung machte, sandte ich dem Schatzamt ein Schreiben des Inhalts, dass derlei Dinge doch eigentlich Sache der Kronanwaltschaft seien und man, wenn möglich, diesen Kelch an mir vorübergehen lassen möge. Ihre Lordschaften haben es jedoch anders verfügt und so muss ich in diesen Dingen wohl meinen Mann stehen. Ja, ich habe sie sogar zu meinem ureigensten Kreuzzug gemacht, denn wenn die Münzerneuerung nicht erfolgreich verläuft, dann werden wir, fürchte ich, diesen Krieg gegen die Franzosen verlieren und das gesamte Königreich wird zerfallen. Ich habe, weiß Gott, in den letzten sechs Monaten meine Pflicht voll und ganz erfüllt, dessen bin ich mir sicher. Doch diese Halunken zu ergreifen ist, da es ihrer so viele sind, ein so gewaltiges Geschäft, dass ich dringend einen Gehilfen brauche.
    Aber ich will keinen weichlichen Speichellecker in meinen Diensten. Weiß der Himmel, in welche Wirren wir geraten und
    -16-

    ob sich irgendwelche Gewalt gegen unser Amt oder gegen uns selbst richten wird, denn Münzverbrechen sind Hochverrat, auf den die schwerste aller Strafen steht und diese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher