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Neverwake

Neverwake

Titel: Neverwake
Autoren: Tobias O. Meissner
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und dessen Wingman Sie würden, wenn Sie bei uns einstiegen.«
    »Aha. Ein bekannter Name?«
    »Davon gehe ich aus.«
    »Wer ist es? Einer von den Meistern?«
    »Nicht mehr. Sein Name ist Laurence Tader.«
    »Was? Wollen Sie mich verarschen? Laurence Tader? Den gibt ’ s doch schon gar nicht mehr, der ist doch von allen Listen gelöscht worden … «
    » … und arbeitet seitdem als Debug-Freelancer für diverse Programmierfirmen. Wir brauchten den Besten, also nahmen wir Tader.«
    »Sie brauchten den Besten … – und dann kommen Sie auf mich, einen Drittligisten aus dem Regulus-Cluster? Das ist doch vollkommen abwegig!«
    »Herr Esch, ich bin leider nicht befugt, diese Angelegenheit in allen Details in der Öffentlichkeit zu besprechen. Machen wir es doch ganz einfach so: Entweder Sie kommen morgen vormittag um zehn Uhr in die INFORM-Filiale Potsdam, um mit mir alles weitere abzuklären, oder aber wir sehen uns leider gezwungen, uns nach jemand anderem umzusehen. Die Adre s se steht auf der Karte. Ich hoffe aufrichtig, daß wir uns morgen wiedersehen, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.«
    Sie ließ ihn einfach stehen, spannte einen dieser rotierenden Regenschirme auf und ging hinaus ins tief-durchwölkte Licht.
    Esch wartete noch eine Weile, ob der Niederschlag irgendwann wieder aufhörte, aber nach fünf Minuten wurde er ungeduldig und auf dem Weg zur Straßenbahn klatschnaß.
     
    Sie liebten sich.
    Langsam, wie in Zeitlupe, vorsichtig und eins.
    Darinas vorgewölbter Bauch schien die zerbrechlichste und unersetzbarste Porzellanvase der Welt zu sein. Dabei war sie erregbarer als früher, aufgewühlt von Hormonen, die nach Wildnis schmeckten. Dieser Widerspruch war unauflösbar, es sei denn durch immer neue Mysterien.
    Danach schlief sie ein wie ein Kind, und Schweiß trocknete auf ihrer Haut.
    Esch lag noch wach. Er hatte ihr nichts von dem Jobangebot erzählt. Es war ja noch nicht konkret. Morgen würde er einfach mal hinfahren, um sich die Geschichte anzuhören, die Karolin Berba zu erzählen hatte.
    Er dachte nach über Laurence Tader.
    Laurence of Arcadia. The Liquid Kid. Der wahrscheinlich phänomenalste Virt aller Zeiten. Für die Welt der Entertai n mentelektronik das, was Bobby Fischer für die Schachwelt gewesen war. Vielleicht ein Nerd, aber mit Sicherheit ein Genius.
    Tader war zum ersten Mal in den Circuits aufgetaucht, als Esch noch ein Electropunkboy gewesen war, der nur so zum Spaß Ligafiguren auf die Motorhauben fremder Autos sprühte. Mit einem an den Silver Surfer oder den Terminator II erinnernden Kampfer namens Commodus war Tader durch die Ligen getobt, bis er im Alter von neunzehn Jahren den damals amti e renden Weltmeister vom Thron schmetterte. Danach hatte er die Gilde der Meister lange genug dominiert – einige sprachen von herumjongliert –, um als Meister aller Klassen anerkannt zu werden und mit seiner Forderung, mehr als einen Kämpfer pro Spieler zuzulassen, für Tumulte unter den Liga-Funktionären zu sorgen. Eines Tages vor beinahe zehn Jahren war Taders Karriere dann abrupt zu Ende gegangen. Ein Journalistenteam ertappte ihn im Bett mit einem durch Schläge gefügig gemachten sechsjährigen Mädchen. Die verwackelten Videos des weinenden Kindes auf dem blutverschmierten Latexlaken sorgten weltweit für Furore. Tader, der sich wie ein Verrückter gebärdete, landete vorübergehend in einer geschlo s senen Anstalt, und alle Titel und Zugehörigkeiten wurde ihm aberkannt. Psychologen zerrissen sich die Mäuler darüber, ob der Fall Tader nach dem Skandal um den Meistergilde-Aufsteiger Kumar Battercharjee, der sich vor laufenden Kam e ras Salzsäure in die Augen geträufelt hatte, der endgültige Beweis dafür war, daß die V-League wahnsinnig machte und die Virts in höchster Gefahr schwebten. Die Funktionäre der League gelobten heilige Sorgfalt und begannen, eine Schwarze Liste über verhaltensauffällige Virts zu führen. Im Laufe der Jahre versiegte der Eifer aber wieder. Die meisten wirklich begnadeten Virts waren irgendwie verhaltensauffällig, und nur solche brachten richtig Kohle.
    Wenn Esch darüber nachdachte, mußte Laurence Tader heute ebenfalls knapp über dreißig Jahre alt sein, ein Dinosaurier, der noch die Jahrtausendwende miterlebt hatte, ein unaufhaltsam abwärts trudelndes Trümmerstück des Platinen-Zeitalters.
    Vielleicht würde er ihm schon bald begegnen.
     
    Am nächsten Tag flog Esch nach Potsdam. Er ging im Erle b nispark Tempelhof an Bord
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