Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
ging es ihm schon besser.
    Das Chat war eigentlich keine Bar zum Dealen, lockte jedoch an Wochentagen eine verwandte Klientel an. Freitag- und samstagabends war das anders – da waren die Stammgäste zwar größtenteils auch da, aber sie verloren sich im Gedränge der Matrosen und der Spezialisten, die es auf sie abgesehen hatten. Als Case die Tür aufstieß, suchte er nach Ratz, aber der Barkeeper war nicht zu sehen. Lonny Zone, der Stammzuhälter der Bar, verfolgte mit glasigem, väterlichem Blick, wie eins seiner Mädchen einen jungen Matrosen anzubaggern begann. Zone war abhängig von einem Hypnotikum, das die Japaner als »Wolkentänzer« bezeichneten. Als Case einen Blick des Zuhälters erhaschte, winkte er ihn zu sich an die Bar. In Zeitlupe schob sich Zone durch die Menge, das längliche Gesicht schlaff und gelassen.
    »Haste Wage heut Abend schon gesehn, Lonny?«
    Zone sah ihn seelenruhig wie immer an und schüttelte den Kopf.
    »Bestimmt nicht?«
    »Vielleicht im Namban. Vor zwei Stunden vielleicht.«
    »Hat er so’n paar Macker dabeigehabt? Einer davon dünn, dunkle Haare, vielleicht mit’ner schwarzen Jacke?«
    »Nein«, sagte Zone schließlich mit gerunzelter Stirn, um anzuzeigen, welche Mühe es ihn kostete, sich solch belangloser Details zu entsinnen. »Große Kerle. Transplantis.« Zones Augen hatten sehr wenig Weiß und noch weniger Iris; die Pupillen unter den lappigen Lidern waren geweitet und riesengroß. Er schaute Case lange ins Gesicht und senkte dann den Blick. Er sah die Wölbung der Stahlpeitsche. »Kobra«, sagte er
und zog eine Braue hoch. »Willste jemand den Arsch aufreißen?«
    »Tschüs, Lonny.« Case verließ die Bar.
     
    Sein Beschatter war wieder da. Case war sich ganz sicher. Freudige Erregung durchzuckte ihn, als die Oktagone und das Adrenalin sich mit etwas anderem mischten. Dir gefällt das auch noch, sagte er sich – du bist verrückt.
    Seltsamerweise war es nämlich ganz ähnlich wie ein Run in der Matrix. Wenn man entsprechend kaputt war und hoffnungslos in einer ziemlich unerklärlichen Klemme steckte, konnte man die Ninsei durchaus als Datenfeld sehen, so wie ihn die Matrix einst an die Auffaltung der Proteine erinnert hatte, die den Zellen ihre unterschiedlichen charakteristischen Eigenschaften verliehen. Dann konnte man sich mit hoher Geschwindigkeit treiben lassen und dahingleiten, total von dem Geschehen gefesselt, aber gleichzeitig völlig losgelöst, und ringsum der Reigen der Geschäfte, interagierende Informationen, fleischgewordene Daten im Labyrinth des Schwarzmarkts …
    Mach schon, Case, sagte er sich. Leg sie rein! Damit würden sie am wenigsten rechnen. Er war einen halben Block von der Spielhalle entfernt, in der er Linda Lee kennengelernt hatte.
    Er flitzte die Ninsei entlang und scheuchte eine Horde gemächlich dahinschlendernder Matrosen auseinander. Einer schrie ihm etwas auf Spanisch nach. Dann war er durch den Eingang. Der Lärm schlug über ihm zusammen wie eine Welle, die Unterschallbässe pulsierten in seiner Magengrube, jemand landete bei Tank War Europa einen 10-Megatonnen-Treffer; eine simulierte Luftexplosion überflutete die Spielhalle mit einem tosenden weißen Rauschen, während ein düsterrotes Feuerball-Hologramm pilzförmig aufloderte. Case
schwenkte nach rechts und lief eine Treppe aus unlackierten Spanplatten hinauf. Er war einmal mit Wage hiergewesen, um mit einem gewissen Matsuga einen Deal zu besprechen, bei dem es um rezeptpflichtige Hormonauslöser ging. Er erinnerte sich an den Korridor, den schmutzigen Mattenbelag, die Reihe identischer Türen, die in winzige Büros führten. Eine Tür stand jetzt offen. Eine junge Japanerin in einem ärmellosen, schwarzen T-Shirt blickte von einem weißen Terminal auf; hinter ihrem Kopf ein Reiseposter von Griechenland, ägäisches Blau mit schnittigen Ideogrammen.
    »Rufen Sie den Sicherheitsdienst rauf!«, befahl Case.
    Dann lief er durch den Korridor und verschwand aus ihrem Blickfeld. Die beiden letzten Türen waren geschlossen und vermutlich abgesperrt. Er wirbelte herum und rammte die Sohle seines Nylonturnschuhs gegen die blaulackierte Kunststofftür ganz am Ende. Sie sprang auf. Billiges Metall fiel aus dem zersplitterten Rahmen. Drinnen Dunkelheit und die weiße Rundung eines Monitorgehäuses. Schon war er an der Tür rechts davon, legte beide Hände um den transparenten Plastikknopf und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Etwas brach, und er war drinnen. Hier hatten er und Wage
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher