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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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Wage von dir grüßen.«
    Deanes Finger strichen über den perfekten Knoten seiner hellen Seidenkrawatte.
     
    Er war noch keinen Block von Deanes Büro entfernt, als es ihn wie ein Blitz traf. Es war eine plötzliche Wahrnehmung auf zellularer Ebene: Jemand war ihm auf den Fersen, dicht auf den Fersen.
    Die Kultivierung einer gewissen harmlosen Paranoia war für Case nahezu selbstverständlich. Das Kunststück bestand darin, sie in Schach zu halten. Aber das konnte ein ganz schön schwieriges Kunststück sein mit einer Ladung Oktagonen im Leib. Er kämpfte gegen den Adrenalinschub an, setzte eine gelangweilte, leere Maske auf und tat so, als triebe er im Strom der Menge mit. Als er ein verdunkeltes Schaufenster entdeckte, gelang es ihm, davor stehenzubleiben. Es war eine Chirurgieboutique, zwecks Renovierung geschlossen. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, starrte er durch die Scheibe
auf eine flache Raute laborerzeugten Fleisches auf einem aufwendig gearbeiteten Postament aus falscher Jade. Die Farbe der Haut erinnerte ihn an Zones Huren; die leuchtende, von einem subkutanen Chip gespeiste Digitalanzeige darauf war wie eine Tätowierung. Wozu eine Operation auf sich nehmen, fragte er sich unwillkürlich, während ihm der Schweiß an den Rippen hinunterlief, wenn man das Ding ebenso gut in der Tasche bei sich tragen konnte?
    Ohne den Kopf zu bewegen, hob er den Blick und musterte die vorüberziehende Menge in der spiegelnden Scheibe.
    Da.
    Hinter Matrosen in kurzärmeligem Khaki. Dunkles Haar, verspiegelte Brille, dunkle Kleidung, schlank …
    Und weg.
    Case duckte sich und rannte im Zickzack durch die Menge.
     
    »Vermietste mir’ne Knarre, Shin?«
    Der Junge lächelte. »Zwei Stunden.« Sie standen hinter einer Sushibude an der Shiga, wo es nach frischen, rohen Meeresfrüchten roch. »Du in zwei Stunden wiederkommen.«
    »Ich brauch sie sofort, Mann. Haste nicht jetzt was?«
    Shin wühlte hinter leeren Zweiliterdosen, die Meerrettichpulver enthalten hatten, und zog ein schmales, in graue Plastikfolie eingewickeltes Bündel hervor. »Taser. Die Stunde zwanzig Neue Yen. Dreißig Kaution.«
    »Scheiße. Das nützt mir nichts. Ich brauch’ne Knarre. Vielleicht muss ich einen erschießen, kapiert?«
    Der Kellner hob die Schultern und verstaute das Bündel wieder hinter den Meerrettichdosen. »Zwei Stunden.«
     
    Case ging in den Laden, ohne den ausgestellten Shuriken auch nur einen Blick zu gönnen. Er hatte noch nie mit einem geworfen.

    Er kaufte zwei Päckchen Yeheyuan mit einem Mitsubishi-Bank-Chip, der seinen Namen mit Charles Derek May angab. Das schlug Truman Starr – was Besseres war ihm für seinen Pass nicht eingefallen – um Längen.
    Die Japanerin hinter dem Terminal sah aus, als hätte sie dem alten Deane noch ein paar Jahre voraus, allerdings ohne dafür die Segnungen der modernen Wissenschaft in Anspruch genommen zu haben. Case zog seine schmale Rolle Neuer Yen aus der Tasche und zeigte sie ihr. »Ich möchte’ne Waffe kaufen.«
    Sie deutete auf eine Vitrine voller Messer.
    »Nee«, sagte er. »Ich mag keine Messer.«
    Sie holte eine längliche Schachtel unter der Ladentheke hervor. Auf dem gelben Pappdeckel war eine primitive aufgerichtete Kobra mit gespreiztem Nacken aufgedruckt. In der Schachtel lagen acht identische, in Seidenpapier eingewickelte Zylinder. Case sah zu, wie die fleckigen, braunen Finger einen davon aus dem Papier schälten. Sie hielt das Ding zur Begutachtung hoch, ein mattes Stahlrohr mit einem Lederriemchen am einen und einer kleinen, bronzenen Pyramide am anderen Ende. Sie umfasste das Rohr mit einer Hand, nahm die Pyramide zwischen Daumen und Zeigefinger der anderen Hand und zog. Drei geölte, ausziehbare Spiralfedern schossen teleskopartig hervor und schnappten ein.
    »Kobra«, sagte sie.
     
    Der Himmel über dem Neongeflacker der Ninsei hatte einen hässlichen Grauton. Die Luft war schlechter geworden; an diesem Abend schien sie Zähne zu haben. Die Hälfte der Leute trug Atemschutzmasken. Case hatte zehn Minuten in einem Pissoir herumprobiert, wie er seine Kobra unauffällig bei sich verstauen könnte; schließlich hatte er sich dafür entschieden, den Griff in den Hosenbund seiner Jeans zu stecken, so dass
die Röhre quer über seinem Bauch lag. Die pyramidenförmige Schlagspitze befand sich zwischen seinem Brustkorb und dem Futter der Windjacke. Er hatte nun ständig das Gefühl, das Ding würde beim nächsten Schritt klirrend auf den Boden fallen, aber damit
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