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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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Sein wichtigster Schutz gegen das Altern bestand in einer jährlichen Pilgerfahrt nach Tokio, wo Gentechniker den Code seiner DNS
neu einstellten, ein Verfahren, das in Chiba nicht verfügbar war. Anschließend flog er immer nach Hongkong, um sich die Anzüge und Hemden fürs ganze Jahr anfertigen zu lassen. Geschlechtlich ein Neutrum und mit übermenschlicher Geduld ausgestattet, schien er sich Befriedigung vornehmlich dadurch zu verschaffen, dass er einem esoterischen Schneiderkult frönte. Case hatte ihn nie zweimal im selben Anzug gesehen, obwohl er offenbar ausschließlich peinlich genaue Nachbildungen der Mode des vorigen Jahrhunderts trug. Er hatte eine Vorliebe für altmodische Brillen mit schmalem Goldgestell und pinkfarbenen, aus dünnem, synthetischem Quarz geschnittenen Gläsern, deren Kanten schräggeschliffen waren wie die Spiegel in einem viktorianischen Puppenhaus.
    Sein Büro befand sich in einem Lagerhaus hinter der Ninsei. Einige Räume waren vor Jahren mit einem Sammelsurium europäischer Möbel sparsam eingerichtet worden, als hätte Deane einmal die Absicht gehabt, diese Zimmer als Wohnung zu benutzen. Neoaztekische Bücherregale, auf denen sich Staub sammelte, säumten eine Wand des Zimmers, in dem Case wartete. Zwei plumpe, bauchige Lampen im Disney-Stil standen auf einem niedrigen Beistelltischchen im Kandinsky-Look aus rot lackiertem Stahl. Zwischen den Bücherregalen an der Wand hing eine Dali-Uhr. Das verzerrte Zifferblatt reichte bis zum nackten Betonboden, und die Zeiger bestanden aus Hologrammen, die sich beim Vorrücken entsprechend dem verzerrten Zifferblatt veränderten, aber nie die korrekte Zeit angaben. Das Zimmer war vollgestopft mit stapelbaren weißen Versandboxen aus Fiberglas, die nach kandiertem Ingwer rochen.
    »Scheinst sauber zu sein, alter Knabe«, erklang Deanes körperlose Stimme. »Komm doch rein!«
    An der massiven Tür aus Rosenholzimitat links von den Bücherregalen fuhren Magnetbolzen zurück. Auf dem Plastikfurnier stand in abblätternden Großbuchstaben JULIUS DEANE
IMPORT EXPORT. Wenn die Möbel in Deanes provisorischem Vorzimmer an das Ende des letzten Jahrhunderts erinnerten, so schien das eigentliche Büro von dessen Beginn zu stammen.
    Deanes faltenloses, rosiges Gesicht musterte Case aus dem Lichtkegel einer antiken Messinglampe mit rechteckigem, dunkelgrünem Glasschirm heraus. Der Importeur war hinter einem riesigen Schreibtisch aus lackiertem Stahl verschanzt, der zu beiden Seiten von hohen Schränken aus hellem Holz mit vielen Schubfächern flankiert war. Aktenschränke, vermutete Case, wie sie in vorelektronischer Zeit zur Aufbewahrung schriftlicher Unterlagen gebräuchlich gewesen waren. Die Schreibtischfläche war übersät mit Tapes, vergilbten Schlangen bedruckten Endlospapiers und verschiedenen Teilen einer uhrwerkähnlichen Schreibmaschine; offenbar fand Deane nie die Zeit, sie zusammenzubauen.
    »Was führt dich zu mir, mein Junge?«, fragte Deane und bot Case ein längliches Bonbon an, das in blauweiß kariertes Papier eingewickelt war. »Probier mal! Ting Ting Djahe, das Beste, was es gibt.«
    Case lehnte das Ingwerbonbon ab, setzte sich auf einen knarrenden Holzdrehstuhl und strich mit dem Daumen an der ausgebleichten Beinnaht seiner schwarzen Jeans entlang. »Julie, ich hab gehört, dass Wage mich umlegen will.«
    »Aha. So so. Und wer sagt das, wenn ich fragen darf?«
    »Die Leute.«
    »Die Leute«, wiederholte Deane, an seinem Ingwerbonbon lutschend. »Was für Leute? Freunde?«
    Case nickte.
    »Nicht immer ganz einfach zu unterscheiden, wer ein Freund ist und wer nicht, was?«
    »Ich schulde ihm ein bisschen Geld, Deane. Hat er was zu dir gesagt?«

    »Hab ihn’ne Weile nicht gesehen.« Deane seufzte. »Falls ich natürlich was wüsste, könnt ich’s dir nicht unbedingt sagen. So wie die Dinge stehen, du weißt schon.«
    »Dinge?«
    »Er ist’ne wichtige Connection, Case.«
    »Ja. Will er mich killen, Julie?«
    »Nicht dass ich wüsste.« Deane zuckte mit den Achseln, als verhandelten sie über den Preis von Ingwer. »Wenn es sich als unbegründetes Gerücht erweist, alter Knabe, schau in’ner Woche oder so wieder bei mir rein. Dann hab ich’ne Kleinigkeit für dich, aus Singapur.«
    »Vom Nan Hai Hotel in der Bencoolen Street?«
    »Kannst auch nichts für dich behalten, alter Knabe!« Deane grinste. In dem Schreibtisch steckte ein Vermögen an Geräten, die verhindern sollten, dass er abgehört wurde.
    »Bis dann, Julie! Ich werd
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