Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neues Vom Räuber Hotzenplotz

Neues Vom Räuber Hotzenplotz

Titel: Neues Vom Räuber Hotzenplotz
Autoren: Otfried Preußler
Vom Netzwerk:
bereits auf vier Uhr nachmittags ging, trug Frau Schlotterbeck einen geblümten Morgenrock, dazu Lockenwickel im Haar und ausgetretene Filzpantoffeln. Sie schnaufte und keuchte bei jedem Schritt wie eine überanstrengte Dampfmaschine.
    »Ach, Sie sind's, Herr Oberwachtmeister!« Ihre Stimme klang tief und hohl, als spräche sie durch ein Ofenrohr. »Was verschafft mir die Ehre?«
    »Ich hätte mit Ihnen zu reden, Frau Schlotterbeck. Darf ich eintreten?«
    »Bitte sehr, kommen Sie nur herein!«
    Während sie durch den verwilderten Garten gingen, bellte der Hund von neuem los wie nicht recht gescheit.
    »Willst du wohl still sein, Wasti!« Frau Schlotterbeck blickte Herrn Dimpfelmoser verlegen an. »Sie müssen entschuldigen. Wasti regt sich bei jeder Kleinigkeit schrecklich auf.«
    In Frau Schlotterbecks Wohnstube herrschte geheimnisvolles Halbdunkel, da sie die Vorhänge tagsüber stets geschlossen hielt – nach dem Grundsatz: Zum Hellsehen muß es dunkel sein.
    »Bitte, nehmen Sie Platz!«
    Frau Schlotterbeck zündete eine Kerze an, die genau in der Mitte des Tisches stand, dessen Platte mit allerlei seltsamen Zeichen bedeckt war: mit Sternen von unterschiedlicher Größe und Form, mit Quadraten und Kreuzen, mit Ziffern und Kreisen und Buchstaben einer fremden Schrift, die Herr Dimpfelmoser nicht lesen konnte.

    »Zigarre?«
    Sie schob ihm ein flaches Kästchen hin.
    »Danke – im Dienst bin ich Nichtraucher.«
    »Aber Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, wenn ich . . .«
    Damit entnahm sie dem Kästchen eine dicke schwarze Zigarre, schnupperte daran, biß ihr die Spitze ab, rauchte sie an und begann zu paffen.
    »Sie hätten also mit mir zu reden?«
    »So ist es.«
    Herr Dimpfelmoser wollte beginnen, ihr auseinanderzusetzen, worum es sich handelte, doch Frau Schlotterbeck schnitt ihm das Wort ab.
    »Nicht nötig, mein Bester – schauen Sie mal hierher!«
    Sie klemmte sich ein Monokel ins rechte Auge und deutete mit dem Finger auf dessen unteren Rand.
    »Wozu kann ich schließlich Gedanken lesen? Aber nicht zwinkern, bitte!«
    Herr Dimpfelmoser gehorchte, obgleich es ihm Unbehagen bereitete, daß ihm Frau Schlotterbeck sozusagen ins Hirn schaute. Zum Glück war die Sache bald ausgestanden.
    »Ich weiß nun, wo Sie der Schuh drückt«, sagte Frau Schlotterbeck. »Aber ich kann Sie beruhigen. Kommen Sie morgen früh um halb neun zu mir! Ihnen zuliebe werde ich ausnahmsweise den Wecker auf Viertel nach acht stellen.«
    »Und Sie meinen . . .«
    Frau Schlotterbeck stieß eine dicke Rauchwolke aus und nickte.
    »Wir machen es mit der Kristallkugel«, sagte sie. »Damit können wir jeden einzelnen Schritt Ihrer Freunde von hier aus beobachten, ohne daß Hotzenplotz das geringste merkt. – Doch nun darf ich Sie bitten, mich zu entschuldigen: Ich muß Wasti das Frühstück bringen. Hören Sie nur, wie er jault und winselt, der arme Hund!«

Die  Kristallkugel

    Am anderen Morgen um acht brachen Kasperl und Seppel auf. Wer sie mit ihrer Blechkanne losziehen sah, mußte meinen, sie gingen zum Brombeerpflücken. Doch in der Kanne befand sich das Lösegeld. Es stimmte auf Heller und Pfennig, sie hatten es fünfmal nachgezählt. Herr Dimpfelmoser begleitete sie bis zur nächsten Straßenecke.
    »Also macht's gut – und verlaßt euch drauf, daß ich euch 'raushole, wenn was schief geht!«
    »Wird schon nicht!« meinte Kasperl.
    Nun trennten sich ihre Wege. Die beiden Freunde mußten zum Alten Steinkreuz im Wald, Herr Dimpfelmoser begab sich zur Witwe Schlotterbeck. Wieder mußte er einige Male klingeln, und wieder brach Wasti in wildes Gekläff aus. Hatte Frau Schlotterbeck etwa verschlafen?
    Endlich kam sie und öffnete: barfuß in Schlappen, ein gehäkeltes Betthäubchen auf dem Kopf, über dem Nachthemd ein Wolltuch mit langen Fransen.
    »Kommen Sie nur, es ist alles vorbereitet!«
    Auf dem Tisch in der abgedunkelten Wohnstube brannte bereits die Kerze. Daneben ruhte auf einem Kissen aus schwarzem Samt eine kokosnußgroße, bläulich schimmernde Kugel von Bergkristall.
    »Nicht anfassen!« warnte Frau Schlotterbeck. »Bei der geringsten Erschütterung trübt sie sich, und es kann Stunden, ja sogar Tage dauern, bis man sie wieder verwenden kann.«
    »Und wozu ist sie gut?« fragte Oberwachtmeister Dimpfelmoser.
    »Sie können mit ihrer Hilfe alles beobachten, was sich an jedem beliebigen Ort im Umkreis von dreizehn Meilen ereignet – vorausgesetzt, es geschieht unter freiem Himmel.«
    Sie setzte sich an den Tisch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher