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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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Litten, das passt doch, mein Erfolgsredakteur in Berlin! Und?«
    »Ich ...«
    »Pass auf, ich bin kurz vor Muenden, wir reden da gleich persönlich drüber, wo treffen wir uns?«
    »Treffen?«
    Zu einer Antwort kam es nicht mehr, die Verbindung wurde unterbrochen. Möglicherweise habe ich noch so was wie ›Scheiiißeeee‹ gehört, sicher bin ich mir nicht.
     
    Siggi und Kevin Lehmschulte, der in der Nacht zuvor endlich 18 geworden war, trainierten an einer einsamen Lichtung im Forst Distanzschüsse mit einem Turnierbogen. Siggis Liebe zum Bogenschießen ließ ihn sogar seine Arbeit vergessen.
    Der Pfeil, dessen grobe Richtungsvorgabe eine Scheibe in 50 Meter Entfernung war, verließ die gewünschte Flugrichtung und näherte sich der Landstraße, wo er sich in den rechten Vorderreifen eines Dienstwagens mit Dortmunder Kennzeichen bohrte.
     
    Den Ambulanzwagen, der sich eine halbe Stunde später mit lautem Getöse dem Sankt-Maria-Krankenhaus näherte, konnte ich von meiner Parkbank aus sehen. Und ich dachte noch, wahrscheinlich wieder ein Badeunfall am Baggersee oder ein Erntehelfer, der die Ausmaße eines Mähdreschers zu spät erkannt hat, irgendwas Klassisches halt. An diesem Abend lag Frau Löffler zum ersten Mal in ihrem Leben neben Günter Masuch, ihrem unmittelbaren Arbeitgeber. Nur durch einen Vorhang getrennt.
     
    Dann sah ich Bettina, und sie sah mich. Falls sie sich gewundert hatte, mich zu dieser Zeit auf der Parkbank zu sehen, musste sie sich eine Menge Mühe gegeben haben, sich das nicht anmerken zu lassen. Im Gegenteil, sie winkte mir freundlich zu, als hätten wir eine Verabredung gehabt.
    Ich schluckte und hatte nicht den blassesten Schimmer, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte.
    Bettina setzte sich zu mir, rubbelte kurz durch mein Haar und gab mir einen flüchtigen Kuss.
    »Na?«
    »Na?«
    »Machst du Pause?«
    »Ja.«
    »Sollen wir was essen?«
    »Hast du nicht einen Termin mit Lesnik?«
    »Hatte. Schon fertig. Du, der ist wie ausgewechselt. Was ist jetzt mit Essen?«
    »Essen?«
    »Ich muss dir was sagen.«
    »Ich auch«, sagte ich mit leichenbitterer Miene.
    »Du hast schon gegessen?«
    »Das nicht.«
    »Dann sag ich dir was.«
    Bettina legte beide Arme auf meine Schultern und schaute mir tief in die Augen.
    »Wir werden Eltern.«
    Ich war nicht in der Lage, angemessen zu reagieren. Wie reagiert man auch angemessen auf eine Nachricht wie diese, wenn man gerade arbeitslos geworden ist.
    »Paul, hast du verstanden, wir werden Eltern!«
    Mit einer kleinen Verzögerung wusste ich endlich, wie man reagieren musste. Indem man seinen Gefühlen freien Lauf lässt und nicht weiter darüber nachdenkt, wie man zu reagieren hat. In solchen Momenten leben wir von unserem Autopiloten. Wir denken nicht, wir lassen uns leiten. Einfach so und garantiert richtig.
    »Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!«
    Ganz Westfalen musste es mitbekommen, wie glücklich ich war.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mich im Kreis drehte und Urzeitlaute ausstieß, es war wohl eine kleine Ewigkeit.
    »Ich habe es gerade erfahren, Paul!«
    »Ich auch, ich mein ... – oh Gott, Bettina!«
    »Gefühlt hab ich’s ja schon länger, aber sicher weiß ich es erst, seit Carola mich angerufen hat.«
    »Sie weiß es auch?«
    »Sie hat mich untersucht.«
    »Endlich! Ist das schön!«
    »Ja, Paul!«
    »Bettina!«
    »Paul!«
    »Gott, das muss gefeiert werden.«
    »Und wie!«
    »Bettina!«
    »Paul!«
    »Wir werden Eltern!«
    »Ja.«
    »Ja.«
    Momente des Glücks sind von einer sprachlichen Einfachheit, die ihresgleichen sucht. Leider dauern sie nicht ewig.
    »Aber wolltest du mir nicht auch was sagen, Paul?«
    Die Frage schnitt mein unglaubliches Hochgefühl ab, wie eine frisch geschliffene Sense das erste Gras im Frühjahr. Warum eigentlich kann das Schicksal seine Schläge nicht besser einteilen?
    Ich schaute sie nur an.
    »Was ist?«, fragte Bettina mit aufrichtiger Sorge.
    »Ich ...«
    »Bist du krank?«
    »Nein, ich ...«
    »Gott sei Dank. Aber was ist denn ...?«
    Jetzt nahm sie meine Hand.
    Ich musste es ihr sagen. Warum zum Teufel kennt die Tragik nicht auch die Einfachheit der Sprache. Ein einfaches Ja, Nein, oder was weiß ich.
    »Masuch hat mir gekündigt.«
    Es war raus, und ich war mit einem Schlag erleichtert. Bettina hielt weiter meine Hand und gab mir einen Kuss. Diesmal keinen von der flüchtigen Sorte, sondern einen nachhaltigen.
    »Kein Problem, Paul.«
    »Kein Problem? Ich habe keinen Job mehr.«
    »Na und?«
    »Wir
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