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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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MESSIAS Folge 15
    Irgendwie bekomme ich immer mehr das Gefühl, am Ende einer Reise zu sein. Die einzelnen Etappen werden immer kürzer, und die Geschwindigkeit des Reisens erhöht sich. Nicht etwa weil man das Ziel bereits vor Augen hat, sondern weil man endlich ankommen will. Ich war lange genug unterwegs. Es ist gut.
    Resi und ich sitzen in einem Straßencafé in Paderborn. Ich war gegen diese Stadt, denn sie wimmelt von Kirchen und Menschen, die sie so ernst nehmen, dass ihnen der Blick auf das richtige Leben abhandenkommt. Paderborn ist das Lakritz Westfalens, tiefschwarz und schwer verdaulich. Ich werde nie verstehen, warum es manche kirchlichen Würdenträger nicht geschafft haben, die Leichtigkeit des Seins in die Frohe Botschaft zu integrieren. Sie war da mal drin, damals als mein Bruder und ich und ER noch voller Hoffnung waren, dass unser Glaube durch die Liebe angetrieben wird und nicht durch die Angst davor, in die Hölle zu kommen, wenn es mit dem Glauben mal nicht so richtig funktioniert.
    Resi hatte mir vor den Stadttoren Paderborns versichert, dass keine Gruppe der Aktivistinnen auf uns wartet. Sie hat es geschworen, bei SEINEM Namen, und deshalb glaube ich ihr.
    In diesem Straßencafé scheint wirklich alles in Ordnung zu sein.
    Resi sagt jetzt schon seit einer Stunde nichts mehr. Was nicht bedeutet, dass sie es endlich begriffen hat, sondern nur als Folge einer heftigen Auseinandersetzung zu verstehen ist. Nicht dass Resi nun eingeschnappt wäre, weil ich ihr gesagt habe, dass sie mehr nervt als ein Magen-Darm-Virus während einer Fahrradtour. Nein, Resi ist nie eingeschnappt, denn alles, was ich sage, ergibt ja Sinn, auch wenn es noch so heftig vorgetragen wird. Eigentlich ein toller Zustand, man kann sagen, was man will, und der andere findet es prima. Blödsinn, das ist kein toller Zustand, das ist die Hölle. Wer sich nie reibt, erzeugt auch nie Energie. Das Leben wird langweilig.
    »Resi, du darfst jetzt wieder was sagen.«
    »Muss nicht.«
    »Doch. Sag was, sag irgendwas.«
    »Warum?«
    »Weil du mich sonst wahnsinnig machst. Und zwar noch wahnsinniger, als wenn du nichts sagst.«
    »Gut!«
    »Nein, das ist nicht gut.«
    »Auch gut.«
    Resis Gleichmut treibt meinen Puls hoch, der sich aber noch weiter nach oben pulsen kann, wie mir schlagartig klar wird.
     
    Seine stahlblauen Augen müssen mich schon vor einiger Zeit entdeckt haben. Auch Resi spürt, dass etwas anders ist als sonst, rechnet aber eher mit einem Wunder als mit meiner Reaktion auf die stahlblauen Augen, die zu einem Mann gehören, der keine zehn Meter entfernt von uns sitzt und jetzt auch zu grinsen beginnt.
    Ich bin angespannt. Resi ist es auch. Ich grinse zurück und erreiche damit, dass aus seinem Grinsen ein Lächeln wird.
    Resi faltet die Hände, ihr Puls schlägt synchron zu meinem. Die Situation wird zunehmend aufgeheizter.
    Der Mann mit stahlblauen Augen und raspelkurzen blonden Haaren trinkt ein Glas Wasser in langsamen Schlucken. Resi räuspert sich, sie kann jetzt nicht schweigen.
    »Resi? Jetzt nicht.«
    »Später?«
    »Auch nicht.«
    Ich spüre, wie meine Knie zu zittern beginnen. Ich kenne diese Situation, und ich weiß, was kommt. Wie oft habe ich das schon erlebt. In allen Variationen. Die Vorfreude, die nervöse Spannung, die sich erst dann legt, wenn die Freundin des Beobachters plötzlich auf der Bildfläche erscheint und ein allerletzter Blick dir signalisiert: ›Hat Spaß gemacht, bis zum nächsten Mal.‹ Oder wenn sein Handy bimmelt und aus einem charmanten Lausbubengrinsen innerhalb von Nanosekunden eine schreckliche Businessfratze wird und du dann signalisieren musst: ›Hat Spaß gemacht, bis du das Handy gezückt hast.‹
    Jetzt bimmelt nichts, und weit und breit ist auch keine Traumfigur im Anmarsch, die sich hier mit den stahlblauen Augen verabredet hat.
    Resi schaut sich nervös um, irgendwas muss ja jetzt passieren, und sie will es frühzeitig wissen.
    Himmel, jetzt ist es passiert, er hat die Kellnerin gerufen, um zu bezahlen. Sie steht direkt vor ihm, ist ihm so nahe, wie ich es sein möchte. Er kramt aus seiner Tasche Geld, gibt es ihr. Die beiden berühren sich. Wenn auch nur, um Kleingeld auszutauschen. Ich bin neidisch auf die Cents, die seine Hand umklammert. Ich wäre bereit, mein Leben mit dem Geld zu tauschen, das jetzt zurück in seine Hosentasche wandert. Wenn ich verrückt bin, dann gerne und von mir aus für immer. Die Kellnerin lächelt ihn an, das darf sie nicht. Was fällt der
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