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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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nicht unbedingt der Mann mit den tausend Gesichtern, dessen Hauptcharaktereigenschaft darin bestand, sich ständig neu zu präsentieren. Ich hatte noch nicht mal meinen Haarschnitt in all den Jahren gewechselt, ich hatte nur an Volumen eingebüßt, und das ohne mein Zutun. Jetzt aber schien es mir an der Zeit, Bettina mit den unbekannten Seiten des Paul Elmar Litten zu beglücken.
    »Wir gehen da jetzt mal hin, Bettina. Würde mich mal interessieren, was das eigentlich für ein Würstchen ist, das meiner Frau den Job weggenommen hat.«
    Bettina stand da, mit einem offenen Mund, den ich so an ihr auch noch nie gesehen hatte.
    »Bettina, hab dich gar nicht gesehen«, schleimte Lesnik.
    »Mich offensichtlich auch nicht.«
    »Ach, Herr Litten, schön ... Bettina, die Waffeln musst du probieren.«
    Ich beugte mich zu meiner Frau.
    »Ihr duzt euch?«
    »Er duzt mich.«
    »Haben wir ja richtig Glück mit dem Wetter ...«
    »Herr Lesnik, was ich Sie schon immer fragen wollte, was reizt Sie eigentlich an Ihrem Job?«
    »Ich versteh nicht ganz.«
    »Paul, ich hab Durst, sollen wir mal zum Wagen?«
    »Nee, lass doch mal, interessiert mich wirklich, was der Herr Lesnik so denkt.«
    »Was mich da reizt, alles! Ihre Frau wird das bestätigen können.«
    »Ich glaub nicht.«
    Lesniks Konzentration auf Bettina ließ nach, jetzt nahm er mich wahr. Und das bereitete ihm kein Vergnügen. Bettina zog diskret an meinem Hemd, aber ich war noch nicht fertig. Was Ansgar für seine Frau tun konnte, konnte ich schon lange, auch wenn ich nicht vorhatte, diesen Mann zu entführen.
    »Sie glauben nicht?«, fragte Lesnik.
    Ich nickte.
    »Bettina?«
    Sie schwieg.
    »Warum sollte meine Frau irgendwas bestätigen, was ich doch von Ihnen hören möchte.«
    »Sie fragen das jetzt als Journalist, oder wie?«
    »Ich frage das in welcher Funktion auch immer.«
    »Herr Litten, ich höre da so einen Unterton.«
    »Paul, ich hab wirklich Durst.«
    »Soll ich dir was holen, Bettina?«, schleimte Lesnik erneut.
    »Herr Lesnik, wenn meine Frau Durst hat, dann hole ich ihr was.«
    »Wollte nur freundlich sein.«
    »Paul, bitte!«
    »Sie wollten freundlich sein, das ist aber nett.«
    »Herr Litten, ich weiß jetzt echt nicht, was ...«
    »Paul Elmarrrrr!«
    Einen kurzen Augenblick lang schaute ich ihm tief in die Augen, und irgendwo da drinnen sah ich bei ihm das Flackern der Angst. Es ist primitiv, sich daran zu ergötzen, dass ein anderer Mensch dieses Gefühl hat, aber es tut gut, es tut so wahnsinnig gut. Und Gucken ist immerhin gewaltfrei und damit auch auf einem Pfarrfest gut aufgehoben. Nachdem ich mir sicher war, diesen Mann an einen Punkt maximalen Respekts geführt zu haben, konnte ich mich wieder anderen Aktivitäten widmen.
    Wir ließen Lesnik am Waffelstand stehen, in dem festen Glauben daran, dass er sich in den nächsten Stunden nicht davon wegbewegen würde. Jedenfalls nicht, solange ich noch auf diesem Fest war.
    »Was sollte das, Paul?«
    »Ich wollte nur wissen, wie der tickt.«
    »Warum?«
    »Weil ... weil ... keine Ahnung.«
    »Nee, so einfach kommst du mir jetzt nicht davon. Du interessierst dich doch sonst nicht für ihn.«
    »Dann sag ich’s dir. Dieser Penner hat den Platz eingenommen, den du hättest einnehmen sollen. Und da hab ich doch wohl die Pflicht, mal zu checken, was an dieser Pullunderfresse so toll ist, dass man dich übergehen darf!«
    Jetzt hatte Bettina endgültig den Überblick verloren, der Mann, der ihr das alles da gerade erzählt hatte, war ihr bislang nicht bekannt.
    »Paul?«
    »Ja?«
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Nein. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihm wirklich was auf die Fresse zu hauen.«
    »Paul?«
    »Ich hätte es nie gemacht, aber ich hätte Lust gehabt.«
    »Ich kenn dich echt nicht wieder.«
    »Ist das ein Kompliment?«
    »Wie?«
    »Ja, ich mein, ist das, was du da an mir nicht kennst, jetzt eher positiv, oder schreckt es dich eher ab?«
    »Weiß nicht.«
    »Ich würd’s gerne wissen.«
    »Eher positiv, glaube ich.«
    Diese Antwort schien Bettina zu verblüffen. Ihr fragender Blick galt weniger mir als ihr selbst.
    »Dann ist doch gut, Bettina.«
    »Ja. Eigentlich, ja.«
    Warum mir Pfarrer Nordermann aus zehn Metern Entfernung zublinzelte, verstand ich nicht, wertete es aber dennoch als nette Geste. Ich kniff zurück und wurde dann zum wiederholten Male von Bettina am Hemd gezogen. Diesmal hatte ihr Ziehen eine Richtung.
    Keine zehn Minuten später waren wir zu Hause.
    Gemeinsam nicht einsam.
    DIE
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