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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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gesprochen wird. Höfliche brauchen den Kontrast, um stärker zu wirken. Ist eine Veranstaltung zu vornehm, sehnt sich jeder nach einem Menschen, der allein durch sein Auftreten alles entkrampfen könnte. Warum also nicht etwas ausprobieren und riskieren? Denn es schadet nicht, seine Umgebung auch einmal zu provozieren. Kein Mensch will im Grunde genommen, dass ihm andere alles recht machen, worüber sollte er sich sonst aufregen?
     
»Wenn man alle Gesetze studieren wollte,
so hätte man gar keine Zeit,
sie zu übertreten.«
Johann Wolfgang von Goethe
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    Es wäre furchtbar, wenn sich alle Menschen so formvollendet benehmen würden wie zum Beispiel die englische Queen, der man nie ansehen darf, ob sie sich gerade langweilt oder nicht – denn man hätte gar keine Rückmeldung auf das eigene Verhalten! Das mag im Einzelfall angenehm sein, aber auf die Dauer bliebe in solch feiner Gesellschaft stets die Unsicherheit, ob man auch wirklich gefällt.
    Diese Tatsache wird in vielen jüdischen Witzen thematisiert: Ein Jude unter Juden kann so sein, wie er ist – gutes Benehmen, also die Verstellung, ist eigentlich nur gegenüber Nichtjuden nötig. In der Öffentlichkeit versucht jeder daher mit mehr oder weniger Erfolg, den anderen etwas vorzumachen. Steht aber fest, dass man sich unter seinesgleichen befindet, wird jedwedes alberne Getue sofort fallen gelassen wie in dieser Geschichte:
     
    In der ersten Klasse eines Zugabteils sitzt ein Jude einem feinen Herrn gegenüber. Der Jude befleißigt sich bester Manieren. Plötzlich wendet sich der feine Herr an ihn und fragt: »Wann haben wir dieses Jahr eigentlich Jom Kippur?«
    Nachdem dieser auf diese Weise verraten hat, dass er ebenfalls Jude ist, atmet sein Gegenüber mit einem »Äsoi« erleichtert auf und legt ungeniert seine Füße auf den Sitz gegenüber.
     
    Sigmund Freud sah in dieser viel zitierten jüdischen Manierlosigkeit etwas Positives, nämlich den demokratischen Charakter der jüdischen Tradition. Persönlichkeiten wie Marlon Brando, Rosa Parks oder die protestierenden Anwohner Kreuzbergs möchten aber noch mehr – sie wollen jedem Menschen auf Augenhöhe begegnen, nicht nur ihresgleichen. Sie fürchten sich auch nicht vor Autoritäten. Oder davor, sich vor Fremden gehen zu lassen und sich angreifbar zu machen. Ihnen ist es wichtiger, wahrhaftig zu sein, als bei jedem Menschen gut anzukommen.
     
Dritte Formel des kategorischen Imperativs:
»Handle so, dass du die Menschheit,
sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«
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    Es gibt übrigens noch eine zweite und dritte Formel des kategorischen Imperativs, die dritte Formel besagt, dass es wichtigere Dinge gibt, als Höflichkeitsregeln einzuhalten – zum Beispiel seinen eigenen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und seine Gedanken und Gefühle nicht zu verleugnen. Und dies muss natürlich auch anderen Leuten zugestanden werden. So wie es Immanuel Kant zeit seines Lebens getan haben dürfte.



2
WARUM DÜRFEN DIE DAS?
    WIE CHARME PERFEKTE MANIEREN ERSETZT.
     
    »Wenn du eine Persönlichkeit werden willst, pflege deine Fehler.«
    Jean-Jacques Rousseau
     

Empörung und Wut trieben sie an: Ende des Jahres 2001 nahm Christina W. die Verfolgung auf. Sie war dem Mann auf der Spur, der sich das Vertrauen ihrer 83-jährigen Freundin, der Schweizer Gräfin Comtesse Verena du Pasquier-Geubels erschlichen hatte. Von Liebe war die Rede gewesen, ja von Heirat. Und so lächerlich das auch scheinen mag, ihre Freundin hatte ihrem 47 Jahre jüngeren Verehrer geglaubt und ihm fast ihr gesamtes Vermögen anvertraut – einen zweistelligen Millionenbetrag in Schweizer Franken.
    Als die Gräfin erfuhr, dass sie einem Betrüger aufgesessen war, hatte sie mit Klage gedroht, woraufhin der junge Mann einen Teil des Geldes zurückgezahlt hatte. Aber Christina W. konnte nicht ertragen dass der Mann ohne Strafe davonkommen sollte, und so zog sie Erkundigungen über ihn ein, trug zusammen, wie viele Frauen er zuvor schon belogen und ausgenommen hatte, und reiste ihm nach: Christina W.s Recherchen endeten allerdings mit dem Verfolgten im Bett.
    Und natürlich bekam sie, wie wohl bei einem amourösen Abenteuer mit einem Erpresser und Heiratsschwindler zu erwarten war, bald ein Paket mit heimlich gemachten Videoaufnahmen der schönen Stunden zugeschickt, beiliegend eine freundliche Empfehlung, sich nicht in Dinge einzumischen, die sie
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