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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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benimmt, und außerdem stets sagt, was ihr gerade in den Sinn kommt. Sie erobert ihren Schwarm, den Finanzmogul Edward Lewis (Richard Gere), aber gerade mit dem absoluten Gegenteil von feinen Manieren und intellektuellen Gesprächsthemen, vielmehr durch ihre freche, ehrliche Art und ihr großes Herz. (Die Glaubwürdigkeit dieser Figurenzeichnung sei dahingestellt.)
    Charme scheint immer genau aus den persönlichen Eigenschaften des Menschen zu entstehen, der ihn besitzt, und dann doch wieder von diesen Eigenschaften unabhängig zu sein. Bei dem einen ist es seine Einfachheit, die ihn so charmant macht, bei dem anderen seine reizende Kompliziertheit, eine Frau kann charmant sein, weil sie so herrlich burschikos ist, die andere, weil sie wie eine Diva auftritt. Charmant kann ein Mann sein, der direkter ist als andere – oder zurückhaltender. Einer ist charmant, weil er zu gut ist für diese Welt, ein anderer, weil er zu seinen primitiven Gelüsten steht. Charmante Menschen gibt es klein, groß, dick, dünn, mit einem hübschen oder auch hässlichen Gesicht.
     
Achtung: Charme entsteht immer aus den
persönlichen Eigenschaften des jeweiligen Menschen – und lässt sich daher niemals kopieren!
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    Wirklich entscheidend für Charme oder sogar Charisma ist wohl eine bestimmte Art von Aufrichtigkeit und Unverkrampftheit, die sich nur schwer nachahmen oder antrainieren lässt. »Charmante Menschen besitzen das Talent zur Ehrlichkeit«, sagt der Psychiater Dr. Mazda Adli, Leiter der psychiatrischen Station der Charité in Berlin.
    Aber ist das nicht ein Paradox? Das Talent zur Ehrlichkeit zu besitzen und ein Betrüger zu sein – wie passt das zusammen? Wie gesagt, nicht jeder, der Charme hat, wird ein Hochstapler und/oder Heiratsschwindler, aber jeder Hochstapler muss Charme haben, wenn er in seiner Profession erfolgreich sein will. Und es versteht sich von selbst, dass erfolgreiche Hochstapler besonders ehrlich wirken müssen. Nicht umsonst ist die inzwischen verstorbene Comtesse Verena du Pasquier-Geubels Helg Sgarbi auf den Leim gegangen: »Man glaubte ihm aufs Wort. Ich konnte nicht fassen, dass alles nur Lüge war.« Klar ist auch: Nicht nur dumme Leute fallen auf Hochstapler herein.
     
»Er wirkte so unschuldig wie ein
Internatsschüler.«
Comtesse Verena du Pasquier-Geubels
über Helg Sgarbi
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    Gert Postel ließ sich die meiste Zeit seines Lebens von intellektuellen Frauen aushalten und ein Jahr vor seiner Verhaftung auch von ihnen verstecken. In dem Dokumentarfilm Doktorspiele erzählt er, wie leicht das war: Suchte er ein neues Opfer, setzte er sich Sonnabendmorgens in das Literaturcafé im Bezirk der Besserverdienenden, Berlin-Charlottenburg. Mit dabei hatte er die Wochenzeitschrift Die Zeit . Während er vorgab, Zeitung zu lesen, hielt er nach geeigneten Frauen Ausschau. Seine Kriterien dabei waren eindeutig: Intelligent musste sie aussehen und empfindsam, elegant, nicht mehr ganz jung, aber auch nicht zu alt. Kam er schließlich mit einer solchen Frau ins Gespräch, plauderte er mit ihr über alles Mögliche, bis er irgendwann spürte, dass der Augenblick gekommen war, abrupt das Gespräch zu unterbrechen, ihr die Hand auf den Oberschenkel zu legen und zu bekennen: »Weißt du, was ich glaube? Bei dir liegt unheimlich viel brach.« »Danach«, sagte Gert Postel, »hatte ich sie alle!«
     
Charmante Menschen
täuschen jeden Psychiater.
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    Ehrlich zu sein, fällt normalen Menschen oft so schwer und diesen Betrügern so leicht. Das macht sie zu etwas Besonderem. Selbstverständlich ist die Ehrlichkeit eines Helg Sgarbi oder Gert Postels nicht echt, aber die Maske des unschuldigen, aufrichtigen Menschen ist so perfekt, dass nicht einmal Psychiater, die genau wissen, wen sie vor sich haben, sie immer durchschauen.
    Das Geständnis eines Gert Postel, mit dem er eine gepflegte Konversation unterbricht – das angebliche Bedürfnis, mit einer Unbekannten über tiefe, gemeinsame Sehnsüchte zu sprechen (»bei dir liegt unheimlich viel brach«) –, suggeriert eine Unschuld, die über jeden Verdacht erhaben ist.
    Besonders perfide ist, dass gute Betrüger mit echten Gefühlen bei der Sache sind, weil sie wissen, dass sie nur dann gut sind, wenn sie tatsächlich fühlen, was sie vorgeben. Sie stellen ihr Gefühlsleben also in den Dienst ihrer unstillbaren Geltungssucht. Dass sie aber auch plötzlich umschalten können, wenn es um ihre Interessen geht, ist wahrscheinlich sogar für sie selbst verwirrend.
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