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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Autoren: Else Ury
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»Wenn du hast den Wunsch, zu gehen nach Amerika, du wirst finden zu jeder Zeit einen Platz im Hause Tavares.« Er reichte dem jungen Vetter die Hand über den Tisch. Der schlug erfreut ein. »In einigen Monaten bin ich mündig, dann brauche ich Vatings Erlaubnis nicht mehr.« »Du hast ja nette Absichten, mein Sohn«, ließ sich da der alte Geheimrat ärgerlich vernehmen. »Lieber in Deutschland trocken Brot essen, als im fremden Lande auf beiden Seiten geschmiert. Milton, es genügt, daß du uns unsere Ursel fortgeschnappt hast. Die übrige Familie verteidige ich vor dem Ungeheuer Amerika, das uns unsere Kinder verschlingt.«
    »Verschlingt ihr lieber euren Weihnachtsmohn! - Jetta, mein Liebling, reich dem Großpapa noch einmal die Schüssel.« Die Großmama wußte derartig gefährlichen Gesprächen stets klug die Spitze abzubrechen.
    Marietta machte mit der geliebten Mohnspeise die Runde. Sie bot dem fremden Vetter an. »Bitte, wollen Sie nehmen?« fragte sie schüchtern.
    »Sie? - Mädchen, bist du denn ganz und gar nicht gescheit, mich so höflich zu titulieren? Ursel, deine Tochter nennt mich 'Sie'. Komm her, Marietta, da hast 'nen Kuß vom Vetter Horst.« Ehe Marietta wußte, wie ihr geschah, hatte der Vetter ihr mir nichts, dir nichts einen Kuß versetzt.
    Marietta erglühte wie eine Purpurrose. »Das - das ist nicht gentlemanlike. Nicht in Europa und nicht in Amerika«, rief sie mit zuckenden Lippen und lief hinaus aus dem Zimmer. Hinter ihr erklang das Lachen der anderen und Großmamas begütigende Stimme: »Seelchen, es war ja nur ein harmloser Scherz - wer wird denn gleich so empfindlich sein!« Die Weihnachtslichter waren niedergebrannt. Vetter Horst war nach Hamburg in seinen neuen Wirkungskreis übergesiedelt. Wieder einmal, wie öfters jetzt in Deutschland, waren die Zwillingsschwestern entgegengesetzter Meinung. Diesmal über den Vetter Horst. Während Anita, wie bereits im Sommer, sehr begeistert von seinem frisch-fröhlichen Wesen war und schon alle möglichen Sportvergnügen für seinen noch recht unwahrscheinlichen Aufenthalt in Brasilien vorschlug, verhielt sich Marietta, ihrer sonstigen menschenfreundlichen Art entgegen, in ihrem Urteil über ihn ablehnend. Der Vetter hatte ihre backfischmäßige Empfindlichkeit zu sehr verletzt.
    Dann kam das neue Jahr, das für Frau Annemarie nur ein Nehmen, kein Geben bringen sollte. »Nicht undankbar sein«, schalt sie sich selbst. Und sie zwang sich, den Kindern zuzureden, einige Tage zum Wintersport ins Gebirge zu fahren.
    Wußte sie doch, wie brennend Ursel es sich wünschte, daß sie nur mit Rücksicht auf die Eltern darauf verzichten wollte. Weniger einverstanden aber war die Großmama damit, daß man die Kinder mitnehmen und die Schule versäumen lassen wollte. Ursel aber lachte ihre Bedenken fort. »Meine beiden Mädel sollen den Wintersport mal kennenlernen hier in Deutschland. Dazu werden sie vielleicht nie wieder Gelegenheit drüben haben. Schulweisheit können sie nachholen.« Ja, so war die Ursel. Noch heute als Mutter nahm sie es mit der Schule nicht allzu genau.
    Und Milton legte nun schon ganz gewiß nicht zu großen Wert auf Gelehrsamkeit seiner Töchter. Drüben in Brasilien lernten die Frauen nicht soviel wie in Europa. So wurde es still in der verschneiten Geheimratsvilla. So still nach all dem Trubel, den die exotische Einquartierung gemacht hatte, daß Frau Annemarie manchmal den Sekundenschlag zu hören vermeinte.
    Der Geheimrat empfand die Ruhe nach all dem Weihnachtstrubel ganz wohltuend. Die Zeitung lag wieder auf dem bestimmten Platz und mußte nicht erst gesucht werden. Die Mahlzeiten wurden auf die Minute innegehalten, was vorher nicht immer der Fall war. Und seine Frau war jetzt nur für ihn da. Alles hat sein Gutes.
    Frau Annemarie entbehrte um so mehr. Und wenn sie sich die Frage vorlegte, was sie eigentlich entbehrte, so war es nicht einmal die Ursel, sondern Marietta, das Kind, das ihr am meisten fehlte.
    Begeisterte Karten kamen aus den Winterbergen. Die Tropenkinder lernten Skilaufen. Milton streikte. Das exotische Blut machte Front gegen das kalte Schneevergnügen. Weder zum Rodeln noch zum Skilaufen war er von seinen Damen herumzukriegen. Er saß lieber im warmen Cafe.
    Und eines Tages waren sie alle wieder da, erfüllt von den Reizen des deutschen Winterlebens. Nein, es war doch nicht so arg, einen Winter in Europa zu verbringen. Mit den blanken Schlittschuhen, die die Kinder zu Weihnachten bekommen hatten, ging es fast
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