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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Autoren: Else Ury
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fehlen. Wieder wie in früheren Jahren sang Ursel den Eltern das Weihnachtslied.
    Marietta aber gab das deutsche Weihnachtsfest noch mehr. Sie hatte Tante Vronli geholfen, eine Armkinderbescherung vorzubereiten. Der Vater hatte reiche Mittel dazu zur Verfügung gestellt. Was war die eigene Freude über die schönen Gaben gegen die, die ihr aus dankbaren Kinderaugen entgegenstrahlte.
    Einen Weihnachtsgast hatte der Heiligabend von der Waterkant gebracht. Vetter Horst war in Knecht-Ruprecht-Verkleidung ins Haus geschneit und hatte Weihnachts-päckchen für groß und klein ins Zimmer geworfen. War das ulkig! Und der Vetter selbst, wie der Siegfried aus den Nibelungen, den sie inzwischen in der Schule und in der Oper kennengelernt hatten, erschien er Marietta mit seinem hellen Haar und den leuchtend blauen Sonnenaugen. Zum ersten Mal beneidete sie Anita um ihr gewandtes, schlagfertiges Wesen. Wie übermütig diese jeden Scherz des Vetters, mit dem sie von der Waterkant her schon gut Freund war, parierte. Nie war sich Marietta neben der Zwillingsschwester so klein und unbedeutend erschienen wie heute. Von jedem einzelnen an der Waterkant mußte der Vetter Ursel Bericht erstatten. Von Onkel Klaus und Tante Ilse, seinen Eltern, bei denen sie als Kind fröhliche Ferien verlebt hatte. Nun ja, Vating war alt und auch ziemlich knorrig geworden. Seitdem er mit der Gicht zu tun hatte, überließ er das Außenwerk seinem ältesten Sohn Peter und beschränkte seine Tätigkeit auf die innere Gutswirtschaft. Und Mutting? Die war noch so rührig wie einst, trotz ihres behäbigen Umfanges. Die arbeitete die junge Schwiegertochter noch heute in den Sack.
    »Und die beiden anderen Brüder, wie geht's dem Herrn Professor in Rostock und dem Herrn Schiffsbaumeister, Horst?«
    »Der eine bereits ein Ehekrüppel, der andere auf dem besten Wege es zu werden. Nur ich bin noch zu haben. Wie ist's, Donna Tavares, willst du mich zum Schwiegersohn?« Es war ein harmloser Scherz, aber die Augen des jungen Mannes flogen dabei zu Anita hin. »Hör auf 1 ', rief Frau Ursel, sich lachend die Ohren zuhaltend, »der Junge macht einen vor der Zeit alt. Erzähle lieber, wie's im Dreimäderlhaus auf Grotgenheide ausschaut.«
    »Nun«, das Gesicht des jungen Mannes wurde ernst, »Grotgenheide hat schwere Jahre gesehen. Nach dem plötzlichen Tode von Onkel Peter haben die Verwalter mehr in die eigene Tasche gearbeitet, als in die von Tante Marlene. Wenn auch Vating öfters mal mit einem Donnerwetter dazwischenfuhr, es ging bergab. Die Mädel haben fortgeheiratet. Vera, die Jüngste, versucht redlich mit ihrem Mann das Gut wieder schuldenfrei zu machen.«
    »Und du selbst, Horst? Wie sind deine Zukunftspläne?«
    »Ich habe zum Januar einen Posten in einem Hamburger Exportgeschäft angenommen. Aber ob ich's dort lange aushalte? Du bist nicht die einzige, Ursel, die es in die neue Welt hinüberzieht. Schon als Schuljunge, wenn die großen brasilianischen Familienkisten ankamen, hat es mich über das große Wasser getrieben. Aber Vating ist bodenständig; er hat bisher noch immer einen Riegel vorgeschoben. Seine Kinder wären nicht für Amerika, behauptet er. Lächerlich. Nun, es ist noch nicht aller Tage Abend. Vielleicht schneie ich euch - ach, nein, das ist ja in den Tropen nicht gut möglich - aber vielleicht falle ich euch eines Tages in euer Palmenhaus.«
    »Das wäre herrlich, Horst. Lieber europäischer Besuch ist die beste Verbindung mit der Heimat«, rief die Kusine lebhaft. »Aber ob ich dir raten soll, deine Zelte hier in Deutschland ganz abzubrechen, das steht auf einem anderen Blatt. Wenn ich meinen Mann, meine Kinder nicht drüben gehabt hätte, ich würde es kaum in den Tropen ausgehalten haben.« Frau Ursel sprach mit merkwürdigem Ernst.
    Aber der junge Vetter wollte den Ernst nicht heraushören. »Nun, vielleicht finde ich auch in Amerika etwas, was mich fesselt und hält«, lachte er sorglos. »Was meinst du, Anita? Soll ich zu euch nach Brasilien kommen?«
    »Ja, o ja! Dann werden wir reiten zusammen und spielen Tennis und Golf. Wann wirst du kommen zu uns, Horst?«
    »Vorläufig bist du ja selber noch hier, mein Mädel«, unterbrach die Großmama Anitas lebhaftes Pläneschmieden. Sie mochte heute abend nichts vom Tropenland hören. Kein Gedanke an später sollte die Harmonie des Augenblicks trüben.
    Milton Tavares, der mit dem Schwiegervater und seinem Schwager ein volkswirtschaftliches Gespräch geführt hatte, war aufmerksam geworden.
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