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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Autoren: Else Ury
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Juan geläufig. Und im selben Augenblick ein unzivilisiertes Freudengeheul Homers: »Donna Tavares - oh, Don Juan!« Da trabte der Negerjunge, den goldlockigen kleinen Reiter auf seinen Schultern, auch schon durch die Gartenpfade, als wäre es unter den Palmen seiner Tropenheimat. Anita und Marietta aber hingen am Halse der Mutter: »Mammi, unsere Mammi, oh, ist das schön, daß ihr seid gekommen!« Fest hielt Frau Ursel ihre Zwillinge in den Armen.
    Dann kam Juan an die Reihe. Oh, wie hatte der kleine Kerl den großen Schwestern gefehlt. Deutsche und portugiesische Laute durchschwirrten die Luft.
    »Papi? Wo ist der Papi?« Anita suchte hinter der Linde, als müsse sie noch mehr Überraschungen bergen.
    »Der Vater konnte sich nicht so schnell freimachen. Als ich dein Telegramm erhielt, Jetta - ich danke dir noch ganz besonders dafür, mein Mädel -, da trieb es mich so rasch wie möglich nach Deutschland hinüber. Bald kommt der Vater uns nach«, berichtete die Mutter.
    »Und dann er nimmt uns mit zurück in die Tropen, wenn es wird kalt in deutsche Land«, rief Anita.
    »Meinst du, Nita, ich habe sechzehn Jahre darauf gewartet, nach Deutschland heimzukommen, um so schnell wieder Reißaus zu nehmen? Ich sehne mich nach deutschem Winter.«
    »Nein, nicht zurück!« rief auch Marietta. Erschreckt faßte sie die Hand der Großmama. »Seelchen, ich lasse dich nicht so bald fort. Du hast mir heute die größte Freude meines Lebens bereitet.«
    Frau Ursel lachte ihr helles Lachen. »Wenn es nicht meine eigenen wären, ich glaubte es den beiden nicht, daß sie Zwillinge sind. Gibt es denn überhaupt etwas, worin ihr euch gleicht?«
    »O ja!« Sie riefen es aus einem Munde. »Wir haben lieb unsere Mammi beide gleich.« Lottchen stand mit großen, stillen Augen daneben. »Ich wollte, meine Mutti käme auch wieder«, sagte sie leise. Es war das erste Mal, daß das Kind Sehnsuchtsgefühle nach der in fremder Erde ruhenden Mutter äußerte. Die Wiedersehensfreude der anderen Kinder hatte dieses natürliche Gefühl hervorgerufen.
    Frau Annemarie mit ihrem warmen Herzen zog die kleine Waise zu sich heran.
    »Unser Lottchen macht uns allen Freude. Was fingen Mutter Trudchen und Vater Kunze
    denn nur ohne ihr Lottchen an!«
    »Und die Omama Geheimrat auch!« So nannte das Kind Frau Annemarie. Ganz besonders hing die Kleine an der gütigen alten Dame. Aber als Mutter Trudchen jetzt erschien und rief: »Na, is mein Lotteken denn wieder da?« da flog das Kind der Frau in die weitgeöffneten Arme, und alles Leid war vergessen.
    Das Telefon hatte es nach Zehlendorf und nach dem Norden verkündet, daß Geheimrats Jüngste aus Brasilien ins Elternhaus heimgekehrt war. Der warme Augustabend vereinigte die ganze Familie auf der Rosenterrasse. Alle waren sie gekommen, die endlich Heimgekehrte freudigst zu begrüßen. Manche Veränderung hatte das Familienleben seit Ursels Fortgehen erfahren. Manche Lücke klaffte in der festgegliederten Kette. Aber neue Jugend füllte sie aus, es gingen und kamen die Generationen.
    Pfirsichbowle perlte in feinen Gläsern, hell klangen sie in den Sommerabend hinaus. Dann aber zogen andere Töne, voll und süß wie Blütenhauch, durch die Augustnacht. Ursel sang des Vaters Lieblingslieder, die Schubertlieder. Frau Annemarie hielt die Hand ihres Mannes. Ihr Blick umfaßte dankbar ihr reiches Familienglück.

Wenn die Flocken fallen
     
    Die Sommerblumen waren verblüht. Buntes Herbstlaub hatte kalter Wind durch den großväterlichen Garten gejagt. Die Linde fror. Zitternd und kahl hüllte sie sich in graue Regentücher. Drinnen drängten sich die Kinder frierend um Frau Trudchens warmes Herdfeuer. Die alte Rosita und Homer hatten dort ihren Stammplatz. Aber noch einen Gast lockte das warme Feuer, einen, der sonst stets den Aufenthalt in der Küche nicht für standesgemäß hielt. Das war Anita. Nein, was fror das Mädel. Auch darin zeigte es sich als echtes Tropenkind. Der graue, deutsche Regenherbst erschien ihrem sonnengewöhnten Dasein traurig und häßlich. Sie wäre lieber heute als morgen nach Brasilien heimgekehrt. Dort war jetzt schöner, heißer Sommer. Anita verstand ihre Eltern, sie verstand vor allem ihre Zwillingsschwester nicht, die ganz traurig wurde, wenn sie zur Rückkehr in die Tropen drängte.
    Der Vater, der seit kurzem seiner Familie gefolgt war, fand den deutschen Winter auch ungemütlich. Aber seiner Frau zuliebe brachte er das Opfer. Ursel sollte für die langen Jahre der Trennung von
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