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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Autoren: Else Ury
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sein mußte, war doch sonst nicht Ursels Sache. Ursel saß und kämpfte mit sich. Sollte sie es gleich sagen? Die beste Anknüpfung hatte sie jetzt dazu. Und feige war sie niemals - was einem schwer wird, frisch angepackt. Nein, für sich war die Ursel nicht feige. Wohl aber für ihre Muzi, der sie zum Dank den größten Schmerz bereiten wollte.
    Das Auto ratterte - ratterte immer denselben Rhythmus, und Ursel schwieg und atmete den süßen Duft der Orchideen. Hans redete ohne Punkt und Komma. Es war, als ob er mit der Schwester die Rollen ausgetauscht hätte.
    »Ich bringe dir noch ein Glas heißen Tee ans Bett, mein Mädel«, sagte Frau Annemarie daheim, als Ursel sich vom Vater und von ihr mit besonderer Zärtlichkeit verabschiedete. Ursel lag bereits, als Frau Annemarie in ihr Stübchen trat. Sie sah blaß aus, aber ihre Augen leuchteten. In der Hand hielt sie eine der Orchideen.
    »So, trink, mein Herz. Die Blumen werde ich mit hinunternehmen, sie machen im Schlafzimmer Kopfschmerzen.«
    Ursel schüttelte den blonden Kopf. Sie wurde rot. »Ich möchte sie gern bei mir behalten. Bitte, stelle sie mir zwischen die Fenster, Muzi.«
    Schweigend kam die Mutter Ursels Wünschen nach. Dann setzte sie sich zu ihr auf den Bettrand und schlang den Arm um sie. Wie vor Jahren, da sie noch ihr kleines Nesthäkchen gewesen war.
    Und wie früher schmiegte Ursel den Blondkopf an der Mutter Brust. Sanft, mit unsagbarer Zärtlichkeit streichelte Frau Annemarie Ursels Haar.
    »Nun, mein Urselchen, bist du heute glücklich?« fragte sie.
    Ursel nickte. Sie antwortete nicht.
    »Über den schönen Erfolg, mein Herz?«
    Der blonde Kopf an der Mutter Brust schüttelte verneinend. Und dann schlug Ursel plötzlich die Arme um den Hals der Mutter und schluchzte zum Gotterbarmen. »Mutti - mein Muzichen - ich - ich hab' ihn - ich hab' ihn ja so lieb!« Da war es heraus. Eine lange Pause folgte.
    »Ich wußte es -« Tonlos klang der Mutter Stimme.
    »Ja, Muzi, du weißt es? Oh, wie hab' ich mich davor gebangt, es dir sagen zu müssen. Liebes, liebes Muzichen, nicht traurig sein, nicht weinen! Das kann ich nicht ertragen.« »Ich hab' es kommen sehen - ich hab' es gefürchtet.« Wie zu sich selbst sprach Frau Annemarie. »Ursel, Herzenskind, du bist noch so jung, so unerfahren - weißt du denn, was für einen Schritt du tun willst?«
    Ursel nickte schweigend. »Muzi, ich habe mit mir gerungen und gekämpft, wochenlang. Mit mir und mit meiner Liebe zu Milton. Sie ist stärker als alles, was ich bisher empfunden und von meiner Kunst je erhofft habe. Seit heute abend weiß ich es, daß mir der Jubel und die begeisterte Anerkennung des Publikums nichts ist - ohne ihn.«
    »Mögest du glücklich werden, mein Herzenskind!« sagte Frau Annemarie wie ein Gebet. Innig küßte sie ihr Nesthäkchen. Fest, ganz fest hielt Ursel ihre Mutter.
    »Muzi, wo ich auch bin, ob hier oder in Brasilien, du bleibst meine allerbeste Freundin!«

Übern großen Teich
     
    Am Weihnachtsabend unter dem schneeigen Lichterbaum war Ursel Hartenstein Braut. Neben ihr stand Milton Tavares und empfand den Zauber deutscher Weihnacht. Kämpfe hatte es gekostet, bis das Professorenhaus sich dem brasilianischen Schwiegersohn öffnete. Harte Kämpfe. Wie stets, wenn es zu vermitteln und auszugleichen gab, wenn es galt, den Kindern Schweres abzunehmen, hatte die Mutter die Mission, dem Vater Ursels Wahl mitzuteilen und ihn dieser geneigt zu machen. Das waren böse Stunden gewesen. Zum ersten Mal in ihrer Ehe verlor Rudolf Hartenstein seine Ruhe. Mehr, als er je gezeigt hatte, hing er an seinem Nesthäkchen, dem Ebenbilde seiner Annemarie. Und nun kam da irgendein brasilianischer Kaffeeprinz, der glaubte, sich alles hier in Deutschland für sein Geld leisten zu können, und wollte ihm sein Kind aus dem Heimatboden reißen. Aber so einfach ging das doch nicht. Da hatte er als Vater auch noch ein Wort mitzusprechen. Unreif und kindisch war Ursel, konnte sich der Tragweite ihres Schrittes noch gar nicht bewußt werden. Von der Bank war sie fortgelaufen, wollte durchaus Gesang studieren und zur Oper. Und jetzt hatte sie auch davon bereits wieder genug. Nun stand ihr Sinn gar nach Brasilien. Unbeständig und wankelmütig in ihren Entschlüssen - wie sollte da feste Treue, unwandelbare Liebe, die allein ihr das fremde Land zur Heimat machen konnten, Wurzeln schlagen! Kaum hatte sie die erste Stufe der Kunst erklommen, da war sie ihrer schon wieder überdrüssig. Wer sagte ihm, ob es
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