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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Autoren: Else Ury
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denen sich die Blüte versteckt. Die Samenkörner der Blüte, das sind die Kaffeebohnen. Es soll eine sehr mühevolle Arbeit sein, den Boden mit Kaffee anzubauen. Acht Jahre dauert es, bis er zum erstenmal Frucht trägt. Eine einzige Reifnacht - auch Frost soll hier ausnahmsweise im Juli vorkommen - kann die jahrelange Mühe vernichten. Auf der Fazenda arbeiten Italiener und auch deutsche Auswanderer. Diese mir ganz fremden Menschen sind hier meine Brüder und Schwestern, mir verbunden durch die Sprache der Heimat.«
    Das Papier in den Händen der lesenden Mutter knisterte stärker. Sie überflog die Zeilen, die von Reitunterricht, von Tennis und Sportvergnügen, von Autofahrten und Geselligkeit berichteten, schneller. Nun vertiefte sie sich wieder in einen der Bogen. Er brachte ein Bildchen, Ursel im Bambusschaukelstuhl unter einem Mangabaum. »Jetzt erst, hier in dem Lande, wo die Frauen so sehr verwöhnt werden, habe ich einsehen lernen, welch ein Segen in der Arbeit steckt. Glaubt Ihr's, daß ich, Eure faule Ursel, die sich zu Hause von jeder Tätigkeit am liebsten gedrückt hat, mich hier nach Arbeit gesehnt habe? Aber wo ich auch eingreifen wollte, nirgends werde ich gebraucht. Stets ist die Dienerschaft zur Hand. Die brasilianischen Damen machen Besuche oder Handarbeiten, sie unterhalten sich den ganzen Tag. Ich flüchte mich an meinen Flügel. Die Stunden bei meinem italienischen Maestro machen mir die größte Freude. Aber immer füllen sie mich nicht aus. Für Filethandarbeiten, wie Marga sie viel fabriziert, habe ich weder Geduld noch Ausdauer. Da kam ich auf die Idee, für die deutschen Auswandererkinder eine Weihnachtsbescherung vorzubereiten. Ach, was hat es mir für Freude gemacht, all die Puppen und Spielsachen im großen Warenhaus mit Milton und Margarida zusammen einzukaufen. Ein kleines Püppchen ist hier viel, viel teurer als bei uns die schönsten und größten Puppen. In Gemeinschaft mit Margarida habe ich die Püppchen angekleidet. Aber auch für die Kinder selbst habe ich Röckchen und Kleidchen genäht. Ich war wirklich fleißig - zum ersten Mal im meinem Leben! Und da klebt Milton die im Schaukelstuhl faulenzende Ursel als Motto auf diesen Brief. So 'ne Gemeinheit!«
    Den nächsten Brief studierte Frau Annemarie noch langsamer als seine Vorgänger. Am 24. Dezember, dem Weihnachtsheiligabend, war er geschrieben.
    »Ich habe mich vor dem Heiligabend gefürchtet. Ich war bange, daß die Erinnerung an daheim mich überkommen könnte. Und nun war es so schön - so schön. Anders als zu Hause. Vor allem herrschte eine Gluthitze. Aber abends war es erträglich. Da brannte eine Art von Tannenbaum mit vielen, vielen Lichtern, mit Zuckerwerk und Silberkugeln geschmückt. Darunter war die lange Tafel für meine deutschen Auswandererkinder aufgebaut. Milton und Marga haben mir beim Aufbau geholfen. Wir waren selbst so ausgelassen wie Kinder dabei. Als die Kleinen an der Hand der Mütter den Raum betraten, spielte und sang ich: 'Stille Nacht, Heilige Nacht'. Alle fielen sie ein, selbst Miltons Eltern sangen die Melodie mit. Mir war feierlicher zumute als an jedem früheren Weihnachtsabend. Das Weihnachtslied überbrückte jede Entfernung. Und dann der Jubel der Kinder! Den häattet Ihr mit anhören, das Glück und die rührende Dankbarkeit der deutschen Mütter mit anschauen sollen. Teresa hatte nach meiner Angabe Weihnachtsstollen gebacken, für jede Familie einen. Muzi, Du brauchst gar kein zweifelndes Gesicht zu machen, sie waren ganz richtig geraten. Allerdings wird wohl Teresas Kunst das größte Verdienst daran haben. Chico trug Körbe mit Lebensmitteln herbei. So zogen sie reich beladen, mit nicht endenwollendem Dank, wieder ab. Und nun kam unser Aufbau heran. O Gott, wie haben sie mich alle verwöhnt! Auch Cäsar bekam sein Weihnachtsbeef. Dann setzte sich Milton ans Klavier, und ich sang deutsche Weihnachtslieder. Als mir die Eltern zum Schluß versicherten, noch kein so schönes Weihnachtsfest gefeiert zu haben, war ich von Herzen glücklich. Und die Gedanken, die zu Euch hinflogen, waren nun frohe und dankbare. Ist meine Weihnachtskiste rechtzeitig angekommen? Haben Omama und Vronli, die doch sicherlich Heiligabend bei Euch waren, sich über meinen Weihnachtsgruß gefreut? Hoffentlich!«
    Frau Annemaries Hand, welche den Brief hielt, sank herab. Tränen verdunkelten ihr den Blick. Sie hatte an dem Weihnachtsabend um so mehr an ihr fernes Kind denken müssen. Einen Brief nach dem andern legte
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