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Neongrüne Angst (German Edition)

Neongrüne Angst (German Edition)

Titel: Neongrüne Angst (German Edition)
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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käme nur daher, dass dieser Typ seine Stimme verstellte. Aber trotzdem hatte sie ein komisches Gefühl im Magen.
    Manchmal war ihr Magen schlauer und schneller als ihr Verstand. Er wusste oft, lange bevor der Kopf es anerkannte, dass sie sich verliebt hatte oder ob sie sich fürchtete oder wohl fühlte.
    Aber wie so häufig hörte sie nicht auf ihren Magen, sondern auf ihren Verstand und sagte: »So, tschüs jetzt. Ich bin hundemüde.«
    »Halt!«, sagte er, »du kannst jetzt nicht einfach auflegen. Ich warte hier auf dich. Komm, sonst geschieht ein Unglück!«
    Johanna legte auf. Sie stellte das Radio wieder ein bisschen lauter, nur so viel, dass die Musik eine Chance hatte, sie zu beruhigen. Aber das klappte heute Nacht nicht. Nicht einmal die Stimme von Jens-Uwe Krause auf Bremen Vier mit seinen Oldies half ihr in den Schlaf. Immer wieder drehte sie sich im Bett herum und zerwühlte das Laken.
    Sie wurde von Bildern geflutet. Sie sah die Glasröhre der Havenbrücke neongrün leuchten. Über dem dunklen Wasser schwebte Leon wie ein Engel. Aber das Bild hatte nichts Schönes an sich. Er ruderte mit den Armen und schrie etwas, aber sie verstand nur so viel, dass er sie warnen wollte. Dann stürzte er ab und klatschte ins Wasser.
    Sie schreckte hoch. Sie war klatschnass. Im Radio lief You can’t always get what you want von den Stones.
    Sie wischte sich die Haarsträhne aus der Stirn und sah auf den Digitalwecker. Vier Uhr zwölf.
    Hatte sie diesen komischen Anruf nur geträumt? Für einen Moment glaubte sie daran, aber dann kehrte die Erinnerung voll zurück. Sie rieb sich die Oberarme, dann verkroch sie sich ganz tief unter ihrer Decke. Der Gedanke, von einem geheimnisvollen Verehrer bewundert zu werden, der ihr heimlich Blumen vor die Tür legte, aber zu schüchtern war, sich offen zu zeigen, gefiel ihr irgendwie auch. Es war ein bisschen spooky, aber auch auf eine kribblige Weise schön.
    Der nächste Traum begann besser. Sie lief durch die Glasröhre. Alles war in dieses grüne Licht getaucht. Der Boden war übersät mit weißen und roten Rosen. Die Stängel mit den Stacheln fehlten. Es lagen nur Blätter auf dem Boden oder die geöffneten Knospen, wie abgeschlagene Köpfe.
    Sie lief immer weiter. Mit jedem Schritt, den sie machte, wurde die Brücke länger. Die real existierenden zweiundvierzig Meter wurden zu ein paar hundert, schließlich zu einem Kilometer oder mehr. Sie konnte das Ende einfach nicht erreichen. Das Mediterraneo schien plötzlich am Ende der Welt zu liegen, und dort wartete ein junger Mann mit weit geöffneten Armen auf sie. Seine Schönheit und Anziehungskraft hätten die Stars der Twilight-Saga, Robert Pattinson und Taylor Lautner, neidisch gemacht.
    Sie sah sich kurz um. Sie hoffte, Leon würde es nicht mitkriegen. Sie wollte ihm nicht weh tun, ihn weder betrügen noch verletzen, sondern nur einmal diesen geheimnisvollen Verehrer sehen.
    Aber die Glasröhre wuchs rasant … Im Traum hörte sie Alarmsirenen, aber sie rannte weiter.
    Als sie aufwachte, liefen die Frühnachrichten. Es hatte einen schlimmen Unfall gegeben. Vier Menschen waren tot, drei lagen schwer verletzt im Krankenhaus. Jemand hatte in der Nacht, kurz nach zwölf Uhr, Mülltonnen auf die Fahrbahn nahe bei der Havenbrücke geworfen. Fünf Autos waren ineinandergekracht. Die Columbusstraße war immer noch gesperrt.
    Sie hatte wie meist in einem alten Nachthemd ihrer Großmutter geschlafen. Sie ließ es jetzt zu Boden fallen und ging nackt ins Bad. Ihre Haare klebten in fettigen Strähnchen zusammen. Sie duschte heiß und schäumte sich die Haare zweimal ein.
    Dampfend kam sie, in ein flauschiges Saunatuch gehüllt, aus den Nebelschwaden des Badezimmers, um sich vor dem Spiegel die Haare zu föhnen.
    Da klingelte das Telefon.
    Sie wusste sofort, wer dran war. Sie hielt mit links das Handtuch fest und griff mit rechts nach dem Hörer.
    »Ja?!«
    »Hallo, Johanna. Ich bin’s. Du hast mich schwer enttäuscht. Ich hab auf dich gewartet. Warum machst du so etwas? Ich finde, du solltest dich jetzt bei mir entschuldigen. Ich bin bereit, dir zu vergeben – ich meine, diese Leute könnten noch leben, wenn du ein bisschen freundlicher gewesen wärst.«
    »Welche Leute?«
    »Der Unfall. Unter unserer Brücke. Weißt du es denn noch gar nicht?«
    Johanna hörte sich selbst schreien: »Warst du das etwa? Hast du die verdammten Mülleimer auf die Straße geworfen?«
    Er klang weinerlich. »Ja. Ich war ein böser Junge. Wenn ich so arg
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