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Neongrüne Angst (German Edition)

Neongrüne Angst (German Edition)

Titel: Neongrüne Angst (German Edition)
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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gucken auf die Klingelknöpfe.«
    Sie teilten sich die Häuser ein und huschten durch die Vorgärten wie zwei Schüler, die Reklameblättchen verteilten, um sich zum Taschengeld etwas dazuzuverdienen. Aber auf keinem Türschild stand der Name Seidel.
    Leon fühlte sich inzwischen besser. Die kühle ostfriesische Luft gab ihm Kraft zurück. Endlich konnte er etwas tun. Die Liebe zu Johanna wärmte ihn wie ein heißer Glühwein in der kalten Jahreszeit.
    Sie standen sich gegenüber und waren beide ein bisschen außer Atem.
    »Vielleicht steht ein anderer Name auf dem Türschild. Wir müssen einfach klingeln und nach ihm fragen.«
    »Und wenn wir dann vor ihm stehen und er auf uns losgeht?«, fragte Tanja. »Bist du bewaffnet? Ich meine, hast du irgendetwas, womit wir uns wehren können?«
    Leon zeigte seine Hände. »Ein Mann, der zwei Hände hat, ist nie unbewaffnet.«
    »Ja, klasse. Glaubst du ernsthaft, mit solchen Machosprüchen kämen wir weiter?«
    In einem Vorgarten stand eine herrenlose Harke herum. Tanja stieg über den kniehohen Zaun und nahm die Harke an sich. »Besser als nichts«, sagte sie.

81
    Pit hatte sich die größte Scherbe aus der zerbrochenen Wohnzimmerscheibe geholt und wollte zunächst ein Ende mit einem Handtuch umwickeln, um daraus einen Griff zu machen. Das Glasstück war gut dreißig Zentimeter lang, spitz und gebogen wie eine Banane.
    Aber dann nahm er die Scherbe lieber ungeschützt in die Hand. Es gefiel ihm zu sehen, wie sie in die Innenfläche seiner Hand schnitt und wie das Blut aus ihm heraustropfte.
    Das Tilidin und die Schlaftabletten hatten ihn bereits so unempfindlich gemacht, dass er alles nur noch auf eine bittere Weise witzig fand.
    Er lachte und verteilte Blutspritzer auf dem Hochzeitskleid und in Johannas Gesicht. Das Wort »Bluthochzeit« huschte durch sein Gehirn und schien wie in Leuchtschrift an der Wand zu stehen. Er wusste nicht, was es bedeuten sollte, doch er sagte es immer wieder vor sich hin.
    Da – als würde sich ein Wunsch von ihm erfüllen – öffnete Johanna die Augen und sah ihn an.
    Er tanzte vor ihr und hatte die Hände hoch in die Luft erhoben. Über sich schwenkte er die blutige Scherbe wie einen Krummsäbel.
    Johanna sprach verlangsamt und bewegte dabei ihren Mund unnatürlich, als ob es ihr schwerfiele, sich daran zu erinnern, wie die einzelnen Laute formuliert werden müssten.
    »Lass mich gehen«, sagte sie. »Ich werde dich auch nicht verraten …«
    »Ja, wir werden gehen, meine Geliebte. Dahin, wo wir endlich eins sein können. Siehst du, ich blute aus. Das tut richtig gut. Die alten Ärzte wussten schon, warum sie früher ihre Patienten zur Ader gelassen haben. Das war nicht irgend so ein sinnloser Mist. Es tut gut. Richtig gut. Willst du auch mal? Trau dich. Es tut nicht weh. Ganz sicher nicht …«

82
    »Er hat ein anderes Namensschild an die Tür gemacht, um nicht so leicht gefunden zu werden. Er ist ein cleverer Hund. Eine einfache Maßnahme mit einer großen Wirkung.«
    Leon zeigte zu einem Haus, nur wenige Meter von ihnen entfernt. »Da hinten, wo dieses Kletterrosen so hoch ranken, da steht gar nichts an der Tür. Aber alle Rollläden sind unten …«
    Indem er es aussprach, wurde ihm klar, dass sie die Ferienwohnung von Pits Eltern gefunden hatten. Sie liefen hin. Jetzt sahen sie im Vorgarten die Glasscherben liegen. Die Sonne spiegelte sich darin und ließ sie glitzern.
    »Und jetzt?«, fragte Tanja. »Willst du einfach klingeln? Hallo, Alter, wie geht’s? Kriegen wir ’ne Tasse Kaffee?«
    Sie hielt die Harke mit beiden Händen wie eine Lanze. Sie reckte ihr Kinn vor und wirkte zu allem entschlossen.
    Leon nickte. »Ja, genau das. Und sobald wir in der Wohnung sind, poliere ich ihm die Fresse, und wir holen Johanna raus. Und dann rufen wir die Polizei.«
    »Falls er es nicht tut«, gab Tanja zu bedenken. »Das hier könnte wie Einbruch oder Hausfriedensbruch wirken.«
    Leon nickte. »Ja, das müssen wir wohl in Kauf nehmen.«
    Dann klingelte er.
    Beide standen ganz still und lauschten, doch aus dem Haus war kein Geräusch zu hören.
    Noch einmal drückte Leon seinen Daumen auf die Klingel. Der Ton war laut und deutlich. Aber nichts passierte.

83
    Pit drückte seine linke Hand auf Johannas Mund. Sein Gesicht war ganz nah bei ihrem.
    »Sei ruhig. Ganz ruhig. Die gehen auch wieder. Wir brauchen jetzt keinen Besuch. Wir brauchen überhaupt keine Menschen mehr. Wir wollen für uns sein, hier in unserem Liebesnest.«
    Sie biss in seinen
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