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Nelson DeMille

Nelson DeMille

Titel: Nelson DeMille
Autoren: Das Vermächtnis
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versponnen.
    Als ich gerade ein besonders aufreizendes Foto von Susan anstarrte, auf dem sie auf ihrem dämlichen Pferd Sansibar sitzt, klingelte es an der Tür.
    Wie die meisten Pförtnerhäuser wurde auch dieses innerhalb der Grundstücksmauern gebaut, sodass niemand zu meiner Tür gelangen konnte, ohne das Eisentor an der Straße zu passieren. Das Tor war nachts geschlossen, und es funktionierte automatisch, daher brauchte man einen Code oder eine Fernbedienung, um es zu öffnen, und für gewöhnlich hörte ich das oder sah die Scheinwerfer, was augenblicklich nicht der Fall gewesen war. Daher musste derjenige, der vor meiner Tür stand, zu Fuß über das Grundstück gekommen sein, und derzeit wohnten auf dem Anwesen nur Amir Nasim, seine Frau, ihr Dienstmädchen, Susan und ich.
    Folglich könnte Mr Nasim vor meiner Tür stehen, vielleicht, um mir einen Höflichkeitsbesuch abzustatten oder um mir mitzuteilen, dass Ethel vor zwei Minuten gestorben war und ich zehn Minuten Zeit zum Ausziehen hatte. Aber möglicherweise war es auch Susan.
    Ich steckte die Fotos wieder in den Umschlag und ging in die kleine Diele, als es erneut klingelte.
    Ich musterte mich im Flurspiegel, zog mein Polohemd zurecht und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Dann entriegelte ich die Tür, ohne durch den Spion zu blicken oder das Außenlicht anzuschalten, und riss sie auf.
    Vor mir stand der Geist von Frank Bellarosa und starrte mich an.
    3
    »Erinnern Sie sich noch an mich?«, fragte er.
    Es war natürlich nicht der Geist von Frank Bellarosa. Es war Franks Sohn Tony, den ich vor zehn Jahren, bei der Beerdigung seines Vaters, zum letzten Mal gesehen hatte.
    Ich werde ungehalten, wenn Leute fragen: »Erinnern Sie sich an mich?«, statt den Anstand zu haben, sich vorzustellen. Aber das, so vermutete ich, war nicht Tony Bellarosas ärgerlichstes Manko in Sachen Umgangsformen und auch nicht sein einziges. »Ja, ich erinnere mich an Sie«, erwiderte ich, und für den Fall, dass er dachte, ich würde schwindeln, fügte ich hinzu: »Tony Bellarosa.«
    Er lächelte, und wieder sah ich Frank vor mir. »Anthony. Ich heiße jetzt Anthony. Haben Sie einen Moment Zeit?«
    Ich hatte mehrere Antworten parat, und in keiner kam das Wort »Ja« vor. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich.
    Er wirkte ein bisschen baff. »Darf ich reinkommen? Oh ...« Mit einem Mal schien ihm die einzig logische Erklärung dafür einzufallen, weshalb es so lange gedauert hatte, bis ich auf die Türklingel reagierte, und warum ich nicht begeistert war, ihn zu sehen. »Haben Sie Besuch?«
    Mit einem Nicken und einem Augenzwinkern hätte ich ihn abwimmeln können, aber ich antwortete nicht.
    »Mr Sutter?«
    Naja, man soll einen Vampir nicht über seine Schwelle bitten, und meiner Meinung nach gilt diese Regel auch für die Söhne von Mafia-Dons. Aber aus Gründen, die zu kompliziert und zu blöde sind, als dass ich darauf eingehen möchte, sagte ich: »Kommen Sie rein.«
    Ich gab den Weg frei, und Anthony Bellarosa trat in das Pförtnerhaus und in mein Leben. Ich schloss die Tür und führte ihn in das kleine Wohnzimmer.
    Ich deutete auf einen Schaukelstuhl - Ethels Stammplatz - neben dem Kamin, in dem sich die Asche häufte, setzte mich in Georges abgewetzten Lehnsessel und wandte mich meinem Gast zu. Ich bot ihm nichts zu trinken an.
    Anthony blickte sich kurz im Zimmer um und bemerkte, dessen bin ich mir sicher, die schäbigen Möbel, die verblichenen Tapeten und den abgetretenen Teppich.
    Außerdem schätzte er vermutlich die Lage in Sachen persönliche Sicherheit ein. Sein Vater hatte das immer getan, eher aus Gewohnheit denn aus Paranoia. Frank Bellarosa hatte auch die Angewohnheit gehabt, unwillkürlich sämtliche Frauen im Raum abzuchecken, während er sich umguckte, ob jemand da war, der ihn möglicherweise umbringen wollte. Ich bewundere Menschen, die mehrere Sachen gleichzeitig fertigbringen.
    Im Fall von Susan Sutter jedoch waren Frank ein paar wichtige Hinweise und Warnzeichen entgangen. Wenn ich über die letzten Minuten von Frank Bellarosas Leben Mutmaßungen anstellen müsste, würde ich vermuten, dass das Blut aus Franks großem Hirn im entscheidenden Moment runter in sein kleines Hirn geströmt ist. So was kommt vor. Und wenn es geschieht, kann das übrige Blut im ganzen Raum verspritzt werden, wie beim armen Frank.
    »Nette kleine Bude«, sagte Anthony.
    »Danke.« Diese alten Pförtnerhäuser wirkten von außen anheimelnd und reizvoll, aber innen
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