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Nelson DeMille

Nelson DeMille

Titel: Nelson DeMille
Autoren: Das Vermächtnis
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ging es in den meisten beklemmend eng zu. Ich weiß nicht, wie ich es fertiggebracht habe, mir dieses Cottage mit Ethel zu teilen, auch wenn ich nur kurz hier gelebt habe. Soweit ich mich entsinne, bin ich viel ausgegangen.
    »Sie wohnen schon 'ne Weile hier. Richtig?«, fragte mich Anthony.
    »Richtig.«
    »Und Sie sind aus London zurück. Richtig?« Ich fragte mich, woher er das wusste.
    »Aber dem Araber, dem das Herrenhaus gehört, gehört auch diese Hütte. Richtig?«
    »Richtig. Er ist Iraner.« »Richtig. Ein Scheißaraber.« »Die Iraner sind keine Araber.« »Was sind sie denn dann?« »Perser.«
    Das schien ihn zu verwirren, deshalb wechselte er das Thema und fragte: »Und Sie wollen ... was? Die Hütte kaufen? Mieten?«
    »Ich bin ein Hausgast von Mrs Allard.« »Aha. Und wie geht's der alten Dame?« »Sie liegt im Sterben.« »Richtig. Alles unverändert.«
    Offensichtlich hatte er Erkundigungen angestellt. Aber warum?
    »Und was passiert, wenn sie stirbt?«
    »Dann kommt sie in den Himmel.«
    Er lächelte. »Aha. Und wo kommen Sie hin?«
    »Wo immer ich hinmöchte.« Vermutlich sollte ich herausfinden, was Mr Nasim mit diesem Haus vorhatte. Vielleicht wollte er es vermieten. Aber die Miet- und Immobilienpreise an der Gold Coast von Long Island waren geradezu astronomisch, und seit dem 11. September stiegen sie sogar noch, da Tausende von Menschen heimlich, still und leise die Stadt verließen, aus ... tja, Angst.
    »Mr Sutter? Ich habe gefragt, wie lange Sie hierbleiben.«
    »Bis sie stirbt.« Ich musterte ihn im schummrigen Schein der Stehlampe. Vermutlich könnte man sagen, dass Anthony Bellarosa auf eine Art und Weise hübsch war, die Frauen hübsch finden würden, aber kein Mann. Seine Züge waren, wie bei seinem Vater, ein bisschen feist - Frauen würden sagen, sinnlich -, volle Lippen und schimmernde Augen. Er hatte einen bräunlichen Teint, wie sein Vater -seine Mutter Anna war sehr hellhäutig -, und seine gutfrisierten Haare waren dunkel und wellig wie Franks, aber vermutlich länger, als es Papa lieb gewesen wäre. Zweifellos kam Anthony - wie auch sein Vater - bei der Damenwelt gut an.
    Er war legerer angezogen als sein Vater. Frank hatte stets ein Sportsakko getragen, Stoffhose und maßgeschneiderte Hemden. Nichts als schlechter Geschmack natürlich, aber wenigstens erkannte man, dass sich Don Bellarosa seinem Image entsprechend kleidete. In der Stadt trug er maßgeschneiderte Seidenanzüge, und sein Spitzname in den Klatschblättern war »Dandy Don« gewesen, bevor er zum »Toten Don« wurde.
    »Und wenn sie stirbt, ziehen Sie weg?«
    »Wahrscheinlich.«
    Anthony hatte eine knallenge Jeans an und ein scheußliches Hawaiihemd, das aussah wie ein schlechtes Geschenk, dazu schwarze Laufschuhe. Außerdem trug er eine schwarze Windjacke, vielleicht, weil es eine kühle Nacht war, vielleicht aber auch, weil er seine Waffe verbergen wollte. Die Kleiderordnung in Amerika war in meiner Abwesenheit ziemlich zum Teufel gegangen.
    Er sagte: »Aber Sie wissen noch nicht, wohin Sie ziehen. Also bleiben Sie vielleicht hier?«
    »Kann sein.« Anthonys Akzent klang, wie auch der seines Vaters, nicht nach purer Unterschicht, aber ich hörte die Straßen von Brooklyn heraus. Anthony war, glaube ich, sechs Jahre auf der La Salle Military Academy gewesen, einer katholischen Privatschule auf Long Island, zu deren Ehemaligen einige berüchtigte Männer zählen, wie zum Beispiel Don Bellarosa. Niemand würde den Privatschulakzent der Bellarosas mit dem eines Zöglings von St. Paul verwechseln, aber die sechs Jahre höherer Bildung hatten Anthonys Slang verschliffen.
    »Sie und die alte Dame sind also so was wie Freunde?«
    Ich wurde allmählich ein bisschen ungehalten über diese persönlichen Fragen, aber als Anwalt weiß ich, dass einem Fragen mehr verraten als Antworten. Ich erwiderte: »Ja, wir sind alte Freunde.« Genau genommen konnte sie mich, wie schon gesagt, nicht ausstehen, aber hier, in dieser alten, untergegangenen Welt von Herrschaften und Dienern, von alten Familienbanden und Bediensteten dieser Familien, von Klassenstrukturen und noblesse oblige, spielte es letzten Endes keine Rolle, wer Herr war und wer Diener oder wer wen mochte oder nicht; wir waren alle durch die gemeinsame Geschichte und, wie ich vermute, eine tiefe Sehnsucht nach einer Zeit miteinander verbunden, die zwar im Sterben lag wie Ethel, aber noch nicht ganz tot war. Ich fragte mich, ob ich das Anthony Bellarosa erklären sollte,
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