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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm
Autoren: Johan Theorin
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Gartentor zu.
    »Deine Visitenkarten, wo hebst du die auf?«
    Michael hielt abrupt an. Er drehte sich um, blieb aber wie angewurzelt stehen. Joakim ging auf ihn zu und hob seine Stimme:
    »Diebstahl ist so ein chronisches Problem bei Drogenabhängigen. Die sind dauernd auf der Suche nach Dingen, die sie klauen und zu Geld machen können. Als du meine Schwester letztes Jahr ans Wasser gelockt hast, nutzte sie die Gelegenheit, dir etwas zu stehlen. Einen Wertgegenstand, den du in deiner Jackentasche hattest.«
    Joakim zog ein Polaroid aus der Manteltasche. Darauf war ein kleiner Gegenstand abgebildet, der in eine durchsichtige Plastiktüte gewickelt war. Es war ein flaches Etui, goldfarben und mit der Gravur HESSLIN FINANCIAL SERVICES versehen.
    »Ethel hatte dein Etui in ihrer Jeansjacke stecken«, erläuterteJoakim. »Ist es aus echtem Gold? Zumindest hat meine Schwester das geglaubt!«
    Michael erwiderte nichts. Er warf Joakim und dem Foto einen letzten Blick zu und ging zielstrebig aufs Haus zu.
    »Die Polizei hat das Beweisstück bereits erhalten, Michael«, rief Joakim ihm hinterher. »Die lassen sicher bald von sich hören.«
    Er fühlte sich wie Ethel, die am Zaun gestanden und herumgeschrien hatte, aber all das spielte jetzt keine Rolle mehr.
    Er sah Michael hinterher. Seine hastigen Schritte verrieten ihn. Joakim wusste, wie das neue Jahr für ihn beginnen würde. Unablässiges Ausschauhalten hinter der Gardine, nervöses Warten darauf, dass plötzlich ein Polizeiwagen vor dem Haus anhielt, zwei Beamte ausstiegen, das Gartentor öffneten und an der großen Eingangstür der schönen Hesslin-Villa klingelten.
    Und in den Häusern der Straße würden vorsichtig die Gardinen beiseitegeschoben werden, und die Nachbarn würden sich fragen, was dort drüben vor sich gehe.
    »Frohes neues Jahr wünsche ich dir, Michael!«, rief er, als Michael die Tür aufschloss und im Haus verschwand.
    Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu.
    Joakim machte sich auf den Weg zurück zur U-Bahn-Station, blieb jedoch ein letztes Mal am Zaun der Apfelvilla stehen.
    Der Rosenstrauß, den er gegen den Stromkasten gelehnt hatte, war vom Wind umgeweht worden. Er stellte ihn wieder auf. Still verharrte er am Zaun und dachte an seine Schwester.
    Er hätte mehr für sie tun können, hatte er Gerlof gesagt.
    Joakim seufzte auf und sah ein letztes Mal die Straße hinunter.
    »Kommst du?«, fragte er.
    Er wartete einige Sekunden, dann ging er. Zurück zu seiner kleinen Familie, um mit ihr das neue Jahr zu begrüßen.
    In der Ferne konnte man schon die ersten Feuerwerkskörper am Himmel über Stockholm sehen. Die Raketen zeichneten schmale weiße Striche in den Abendhimmel, ehe sie in Flammen aufgingen, um dann wie Geisterfeuer zu erlöschen.

KOMMENTAR ZUM NEBELSTURMBUCH
    von Katrine Westin
    I ch habe dein Buch gelesen, Mama. Und weil es noch ein paar leere Seiten gibt, möchte ich einige Gedanken hinzufügen, bevor ich es dir zurückgebe.
    Du erzählst so viele Geschichten in diesem Buch. Du behauptest zum Beispiel, mein Vater sei der junge Soldat Markus Landkvist gewesen, der beim Kentern einer Fähre während eines Nebelsturms im Winter 1962 ums Leben kam. Aber dieses Fährunglück hat es nie gegeben. Zumindest hat keiner von den Inselbewohnern, mit denen ich gesprochen habe, jemals davon gehört.
    Aber das bin ich gewohnt. Ich habe früher so viele Geschichten über meinen Vater gehört – mal war er ein Studienkollege auf der Kunstschule, mal ein amerikanischer Diplomat oder ein norwegischer Abenteurer, der wegen eines Banküberfalls im Gefängnis saß, als ich geboren wurde. Du hattest immer ein Faible für wilde Geschichten.
    Und hast du wirklich einen alten Aalfischer vergiftet? Hast du wirklich deine blinde Mutter geschlagen und sie in jener stürmischen Winternacht ihrem Schicksal überlassen?
    Das kann durchaus der Wahrheit entsprechen – aber du hast schon immer alles neu erfunden und Neues hinzugedichtet. Du warst dein Leben lang allergisch gegen den Alltag, gegen Pflichten und Verantwortung. Mit so einer Mutter aufzuwachsen ist nicht immer einfach – wenn du mir etwas gesagt hast, musste ich immer versuchen, die Wahrheit herauszufiltern.
    Eine Sache habe ich mir damals geschworen: Meine Kindersollten ruhiger und geborgener aufwachsen, als ich es erleben musste.
    Joakims Schwester hasste mich dafür, dass ich mich um ihre Tochter gekümmert habe, weil sie es selbst nicht konnte. Du mit deiner verdammten Drogenromantik
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