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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm
Autoren: Johan Theorin
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nördlichen Leuchtturm.
    Auf dem Weg dorthin warf er einen Blick zu dem kleinen Wäldchen hinüber. Die meisten Bäume schienen den Sturm ganz gut überstanden zu haben, bis auf einige ältere Kiefern unmittelbar am Strand, deren Baumkronen am Boden lagen.
    Die weißen Leuchttürme glitzerten vor dem dunkelblauen Himmel. Von Weitem schon konnte er sehen, dass es schwierig werden würde, die Türen zu öffnen. Während des Sturmes hatten die Wellen das Wasser auf die aufgeschütteten Inseln gespritzt, das sofort gefroren war. Die Leuchttürme waren von lilienweißem Eis umhüllt. Es sah aus wie getrockneter Gips und zog sich wie eine arktische Umarmung um den unteren Teil der Türme.
    Joakim stellte seinen Rucksack vor der Tür ab und packte sein Werkzeug aus – den Schlüssel, einen großen Hammer, eine Flasche mit Enteisungsspray und drei Thermosflaschen mit kochend heißem Wasser.
    Nach einer halben Stunde hatte er endlich das Eis vor der Tür entfernt und konnte sie aufschließen. Auch dieses Mal konnte er die Tür nur einen kleinen Spalt aufdrücken, aber es gelang ihm, sich hindurchzuzwängen.
    Als er im Turm stand, schaltete er seine Taschenlampe an.
    Jedes Scharren seiner Schuhe verursachte ein enormes Echo im Turm, aber er hörte keine anderen Schritte im Treppenhaus. Sollte dort oben doch ein alter Leuchtturmwärter sein, wollte Joakim ihn nicht stören. Also blieb er unten.
    Es besteht eine kleine Chance , hatte Gerlof Davidsson am Telefon gesagt. Mein Bruder Ragnar hatte ja die Schlüssel für die Leuchttürme. Es besteht also eine kleine Chance, dass sie dort sind.
    Den Freiraum unter der Turmtreppe hatte man mit einer Holztür zu einem Stellplatz umfunktioniert, wie ein kleines Magazin im Erdgeschoss des Turmes. Joakim öffnete die Tür und betrat den Raum.
    Ein Kalender aus dem Jahr 1961 hing an der Wand. Auf dem Boden standen Benzinkanister, Schnapsflaschen und alte Laternen herum. Die Gegenstände in dem Raum erinnerten ihn an das Gerümpel, das sich auf dem Dachboden in der Scheune übereinanderstapelte. Allerdings war es hier etwas ordentlicher, und an der Außenwand stapelten sich mehrere Holzkisten übereinander.
    Die Deckel waren nicht vernagelt. Joakim hob den Deckel von der ersten Kiste an und leuchtete mit der Taschenlampe hinein.
    Er sah Blechrohre – meterlange Stücke von alten Fallrohren, die in der Kiste aufeinandergestapelt lagen. Die hätten vor vielen Jahrzehnten zusammengefügt und auf Åludden angebracht werden sollen, wenn Ragnar Davidsson sie nicht gestohlen und in dem Leuchtturm versteckt hätte.
    Joakim nahm vorsichtig eines von den Rohren heraus.

44
    » W o fahren wir hin?«, fragte Livia, als sie am Tag vor Silvester mit dem vollgepackten Auto Hof Åludden verließen.
    Joakim hatte das Gefühl, dass sich ihre beleidigte Stimmung seit Weihnachten nicht wesentlich verändert hatte.
    »Wir fahren erst zu Oma Mirja nach Kalmar und danach zu Omi nach Stockholm«, sagte er. »Aber zuallererst gehen wir eure Mutter besuchen.«
    Livia erwiderte kein Wort. Sie legte ihre Hand auf Rasputins Katzenkäfig und betrachtete die weiße Landschaft.
    Fünfzehn Minuten später hielten sie an der Kirche in Marnäs. Joakim nahm eine Tüte aus dem Auto und öffnete das Tor zum Friedhof.
    »Na, kommt schon«, forderte er die Kinder auf.
    Joakim war seit Katrines Tod nicht oft auf dem Friedhof gewesen – jetzt fühlte es sich besser an. Etwas besser.
    Auf den Gräbern lag genauso viel Schnee wie überall auf Öland, aber die größeren Wege waren geräumt.
    »Müssen wir noch weit laufen?«, nörgelte Livia, als sie an der Kirche vorbeigingen.
    »Nein«, antwortete Joakim, »wir sind fast da.«
    Dann standen sie nebeneinander vor Katrines Grab.
    Der Stein war von Schnee bedeckt wie all die anderen Grabsteine auf dem Friedhof, nur eine Ecke war zu sehen. Joakim bückte sich und fegte mit der Hand den Schnee weg, damit man die Gravur lesen konnte.
    KATRINE MÅNSTRÅLE WESTIN stand da über den beiden Jahreszahlen.
    Joakim trat einen Schritt zurück und stellte sich zwischen Livia und Gabriel.
    »Hier liegt Mama«, sagte er dann.
    Seine Worte ließen die Zeit nicht anhalten, aber die Kinder standen unbeweglich neben ihm.
    »Findet ihr … dass der Grabstein schön aussieht?«, fragte Joakim in die Stille.
    Livia antwortete nicht. Gabriel reagierte als Erster.
    »Ich glaube, Mama friert«, sagte er.
    In den Fußspuren seines Vaters näherte er sich dem Grab und fing an, den restlichen Schnee
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