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Nebelschleier

Titel: Nebelschleier
Autoren: Gmeiner-Verlag
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die sich auf seine Schultern legten. Einen Moment lagen sie nur ruhig da. Er spürte den Atem des Menschen, zu dem sie gehörten, in seinem Nacken und in diesem Augenblick wandelte sich seine Wut in nackte Angst. Auch jetzt gelang es ihm natürlich nicht zu schreien, nur ein leises Röcheln entrang sich seiner Kehle. Die Hände rutschten näher an seinen Hals. Das Röcheln verebbte.

     
    Als sich die Sonne durch den Hochnebel gearbeitet hatte und ihre Strahlen durch das leuchtende Herbstlaub fielen, lag am Grund der romantischen Felsengrotte im Park zu Schloss Rosenau der Steinleins Bernhard, der gerade noch von der schönen Irina geträumt hatte, begraben unter seinem Rollstuhl.

1
    Angermüller schreckte hoch. Was war das für ein Geräusch? Wie spät war es überhaupt? Er angelte seine Armbanduhr vom Nachttisch. Sieben Uhr. Das Geräusch, das ihn geweckt hatte, stammte von einem Traktor. Es entfernte sich schon wieder, wurde leiser und kurz darauf war es nicht mehr zu hören. Zufrieden sank er zurück auf das Kissen und drehte sich in seinem Bett noch einmal um. Er hatte Urlaub, und niemand schrieb ihm vor, wann er aufzustehen hatte.
    Sanft war er wieder eingedämmert, da drang plötzlich aufdringliches Türenschlagen und Geschirrklappern an sein Ohr, jemand sorgte im Haus für unüberhörbare Betriebsamkeit. Wie konnte er das nur vergessen? Noch nie hatte seine Mutter etwas für Langschläfer übriggehabt. Mittlerweile war es fast acht und in ihren Augen die letzte Möglichkeit für einen anständigen Menschen, seine Schlafstatt zu verlassen. Mit einem Seufzer schlug er die Bettdecke zurück, trat ans Fenster und öffnete es weit.
    Kalte Luft strömte herein, von weit her hörte man ein Hämmern, kein Vogelsang, kein Sonnenlicht, der Himmel von einem undurchdringlichen Grau und über dem Tal ein Nebelschleier. Dahinter zeichnete sich schwach über den Bäumen die Silhouette der Rosenau ab. Enttäuscht von diesem unerfreulichen Anblick, stieg Angermüller aus der Dachkammer, die einmal sein Jugendzimmer gewesen war, die Treppe hinunter.
    Je weiter er gestern von Lübeck nach Süden gelangte, desto besser hatte sich das Wetter gestaltet. Als er nach viermaligem Umsteigen endlich in dem Bummelzug saß, der mit metallischem Scheppern und dramatischem Bremsen durch die sanften Hügel in Richtung Coburg ruckelte, dehnte sich der Himmel in makellosem Blau. Nächster Halt Seehof – Angermüller wusste gar nicht mehr, dass ein Ort dieses Namens hier existierte. Die ungewohnte Annährung an seine Heimat genoss er wie ein fremder Besucher. Es war schon sehr lange her, dass er allein und mit der Bahn nach Oberfranken gereist war.
    In den letzten Jahren, mit Astrid und den Kindern, hatten sie immer das Auto benutzt. Auch diesmal waren ein paar gemeinsame Tage anlässlich des 70. Geburtstages seiner Mutter geplant gewesen. Aber Judith, die wildere Hälfte der 13-jährigen Zwillinge, musste vorgestern unbedingt in die höchsten Äste des Birnbaumes klettern, um die Früchte ganz oben abzuernten. Dabei war sie abgestürzt und hatte sich den Fuß gebrochen. Da es ein komplizierter Bruch war, sollte sie einige Tage im Krankenhaus bleiben, und die Reise war für sie gestrichen. Astrid wollte das Kind natürlich nicht allein lassen, und Julia sah ihre Chance gekommen, die Herbstferien mit ihrer Freundin im Wochenendhaus von deren Eltern auf Fehmarn verbringen zu können. Zwar hatte Astrid versprochen, vielleicht doch noch mit Julia nachzukommen, aber so richtig glaubte Angermüller nicht daran.
    Schade, sie hätten ein paar erholsame Ferientage gut brauchen können. Es gab so einiges, worüber er sich mit Astrid einmal in Ruhe austauschen wollte. Natürlich redeten sie über vieles miteinander, doch in der Routine des Alltags ging manches unter, und das wiederum führte zu Missverständnissen, die sich dann zu echten Problemen auswachsen konnten. Gerade in den letzten Monaten hatte er diesbezüglich so einige Erfahrungen gemacht.
    Auch wenn sie es nie so gesagt hätte, Georg Angermüller wusste, dass seine Frau nicht böse war, die Reise nach Niederengbach ausfallen zu lassen. Ihre gemeinsamen Besuche dort waren in letzter Zeit immer seltener geworden – zu viel Arbeit, sonstige Verpflichtungen, einfach zu wenig Zeit – Gründe gab es viele. Astrid bewunderte die Schönheit der Landschaft, die zahlreichen Schlösser und Burgen, die Städtchen voll von Zeugnissen aus der Vergangenheit und sie hatte auch die malerischen Dörfer
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