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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
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Land, von Bauer zu Bauer, von Tausch zu Tausch. Gropper überließ seinen
Sitzplatz einem beinamputierten Mann mit Krücken. Dieser tippte nur stumm an
seine alte Wehrmachtsmütze und ließ sich stöhnend nieder. Gropper zwängte sich
hinaus auf die Plattform und musste sich draußen am Scherengitter in eine Ecke
drücken. Als an den Stationen die Gitter zum Aussteigen und Einsteigen nach
oben geklappt wurden, musste er sich am Griff festhalten, um nicht mit
hinausgeschoben und von den Zusteigenden nicht rückwärts über die Gepäckberge
gestoßen zu werden.
    Er muss Luise anrufen. Jedes Mal, wenn Gropper verreist, muss er
Luise versprechen, sie sofort nach seiner Ankunft anzurufen, um ihr
mitzuteilen, dass er gut angekommen ist.
    Die beiden gelben Telefonhäuschen neben dem Bahnhofseingang sind
immer noch da, doch von beiden Apparaten sind die Hörer abgeschnitten.
    In der Bahnhofswirtschaft kann er nicht anrufen. So früh am Morgen
ist sie noch geschlossen.
    Ein großes Transparent an einer Häuserfront fällt ihm auf. Auch in
München hängt so ein Spruchband, am Sendlinger Tor hat man es aufgespannt.
»Drive carefully! Death is so permanent!«, steht darauf.
    Vor dem Krieg standen auf dem Bahnhofplatz Pferdekutschen und Taxis,
in die die Touristen stiegen, gefolgt von den schwer beladenen Gepäckträgern.
»Zum Hotel ›Alpenrose‹!« – »Zum Hotel ›Post‹!« – »Zum Hotel ›Traube‹!«, hieß es
damals. Und die roten Fahnen mit dem schwarzen Hakenkreuz auf weißem Grund
wehten dazu.
    Jetzt stehen auf dem Platz die Jeeps der Amerikaner. Kaugummi kauend
und in gebügelten Uniformen fläzen sie sich lässig in ihren Sitzen und schauen
scheinbar gelangweilt in die Gegend. Einer von ihnen reinigt sich mit der
Klinge seines Taschenmessers die Fingernägel.
    Dazwischen stehen ausrangierte Postbusse mit den Zielen »Schule«,
»Turnhalle«, »Lagerhalle Sägewerk«, in die Flüchtlinge ihre Säcke, Kartons und
Stoffbündel wuchten und hastig hinterherklettern. Dazu wellt sich über einem
der Gebäude das bunte Sternenbanner mit den Stars and Stripes im Wind.
    Drive carefully! Death is so permanent!, denkt Gropper immer wieder.
Death is so permanent.
    Über den gesamten Platz verstreut stehen hier und da zwei oder drei
Leute beisammen, Männer und Frauen, aber auch Jugendliche und junge Frauen.
Während sie knappe Worte wechseln, blicken sie verstohlen nach allen Seiten.
Dann tauschen Waren und Geld schnell die Besitzer.
    Schwarzmarkt ist verboten. Die in ihren Jeeps dösenden Amerikaner
greifen nicht ein, obwohl sie alles und jeden genau beobachten. Sie lassen die
Leute in Ruhe. Sie packen erst zu, wenn ein besonderer Befehl von oben kommt.
    Gropper kennt den Schwarzmarkt von München und auch vom Gautinger
Bahnhof. Er möchte wissen, wie hier die Preise sind, und tritt an einige heran,
fragt leise nach ihren Angeboten und Preisen. Man antwortet nicht sofort,
taxiert ihn erst mal kritisch. Man kennt diesen Neuen nicht, er war noch nie
da, man muss vorsichtig sein. Vielleicht ist er ein Spitzel, der eine Falle
stellt.
    Nach einigem guten Zureden kann er einem die Preise entlocken: eine
»Ami« zwanzig Mark, ein Pfund Käse fünfzig, ein paar Seidenstrümpfe
hundertzwanzig, ein Pfund Butter hundertdreißig, eine Flasche Cognac
vierhundert, Whisky fünfhundert, ein Kilo Bohnenkaffee sechshundert. Die Preise
ungefähr wie in München.
    Da tritt ein hochgewachsener Mann in einem langen dunkelgrünen
Lodenmantel und mit einem grauen Filzhut zu ihnen. In der schwarzen Kordel um
den Filz steckt eine Fasanenfeder. Sein Gesicht ist faltenlos, glatt rasiert,
und auf der Oberlippe sprießt ein gepflegtes Bärtchen. Die ganze Erscheinung
erinnert Gropper an Willy Birgel auf Bayrisch. Im Gegensatz zu seinem vornehmen
Aussehen schubst er den Händler, mit dem Gropper gerade spricht, ruppig
beiseite und haucht ihm ins Ohr: » N azi?  SS ?«
    »Was haben Sie denn?«, fragt Gropper.
    »Alles, was Sie wünschen.«
    Mit seinen langen Fingern fährt er eilig über die Hornknöpfe seines
Lodenmantels, öffnet ihn und zieht darunter den Reißverschluss seines Jankers
hinunter.
    An den Innenseiten kommen zahlreiche angenähte Taschen zum
Vorschein, alle vom Inhalt stark ausgebeult. Einen ganzen Laden trägt er da mit
sich herum.
    »Totenkopfring? Orden und Abzeichen? Dokumente?«
    »Was für Dokumente?«
    »Morgen, zwei Uhr?«
    Gropper ist neugierig, was der Mann zu bieten hat, lässt es wie in
einer Lotterie darauf ankommen und
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