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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
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schöner
Empfang, während am Straßenrand hinter Holzzäunen Flieder und Goldregen blühen.
    Der Lingl Mucki wird dafür sorgen, dass es bald alle wissen: Der
Gendarm ist wieder da. Bestimmt ist er wieder hinter jemandem her. Halt’s die
Goschn, wenn er was fragt.
    Durch das kurze Stück Hochstraße hindurch, dann steht er an der Ecke
Ballenhausgasse vor dem »Haus Adler«, direkt neben der Kirche mit dem kunstvoll
bemalten Kirchturm. Hier befand sich damals die Metzgerei von Wilmas Vater.
Über dem Balkon ist noch die Lüftlmalerei »Bayer und Tiroler reichen sich die
deutsche Bruderhand« zu sehen, aber das Geschäft gibt es nicht mehr. Wo früher
auf der weißen Wand über dem Schaufenster in schöner barocker Schrift
»Metzgerei und Wurstwaren« gemalt war, ist nun ein großes Blechschild
angebracht: »Notquartier-Nachweis – Suchdienst des Bayerischen Roten Kreuzes –
Vermisstenstelle«.
    Seine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Wilma fällt zusammen wie ein
Kartenhaus. Dennoch umfasst er die gusseiserne Klinke mit der Mähne des
Löwenkopfes und drückt die alte geschnitzte Holztür auf. Der Raum quillt über
vor Menschen. Jeder drängt sich zu den Tischen an der Wand, jeder will etwas
wissen. Alle schreien durcheinander.
    Gropper schaut sich um. Das war der Laden. Noch immer sind da die
schönen roten Bodenfliesen und die blauen Kacheln an den Wänden. Als
Jugendlicher war er oft unter dem Vorwand, Wurst kaufen zu wollen, in diese
Metzgerei gegangen, um Wilma hinter dem Tresen zu sehen oder vielleicht sogar
von ihr in ihrer weißen Rüschenschürze und mit einem Häubchen auf dem Kopf
bedient zu werden. Doch jedes Mal traf er nur ihre Mutter oder ihren Vater an.
»Die Wilma ist nicht da«, sagten sie, und weil sie ihm so sehr ihre frische
Rot- und Zungenwurst empfahlen oder ein frisches Kotelett, kaufte er es
gezwungenermaßen. Doch weil es nicht aus Wilmas Hand kam, schmeckte ihm dieses
Fleischzeug zu Hause gar nicht.
    Wilmas Vater konnte nicht verstehen, dass seine Tochter Fleisch und
Wurst hasste, im Laden nicht bedienen und später auch nicht die Metzgerei
übernehmen wollte. Immer wieder redete er auf sie ein, einen Mann zu heiraten,
der seine Metzgerei weiterführen sollte. Sie aber hatte keine Lust, eine
Metzgersfrau zu werden. Um sein Geschäft zu behalten, trat er 1933 in die NSDAP ein. Und das mit Erfolg. Die gesamte Mittenwalder  SA und SS kaufte bei ihm
ein. Er wurde reich. Doch jetzt gibt es die Metzgerei nicht mehr.
    Wo ist Wilma? Trotz »Suchdienst« und »Vermisstenstelle« hat Gropper
keine Lust, hier nach ihr zu fragen. Er muss andere Wege finden. Es bleiben ja
noch das Einwohnermeldeamt und seine Schwester Theres.
    Kaum ist er auf die Straße getreten, steht die Rohrmoserin vor ihm,
früher die Leiterin der Frauenschaft unter dem damaligen Ortsgruppenleiter
Sattler.
    »Ja da schaug hea. Wen siech i denn da? Dea Gropper Martl. Bist
privat hiea? Oder gar gschäftlich als Schandi?«
    »Privat.«
    »So, so«, zischt sie spitz. »Privat.«
    Er sieht ihr an, dass sie ihm nicht glaubt.
    »Jetz is ja de Luft wieda rein. Jetz traust di wieda hea.«
    Um das Thema zu wechseln, fragt er sie: »Wo sind denn die
Gschwandtner geblieben?«
    Doch sie reagiert nicht und stichelt weiter: »Von dea Schweiz aus
hast ja gmüatli zuaschaun kenna, wias bei uns zuaganga is. Da warst ja aufm
sichan Terräng.«
    Ihm reicht es, er geht davon, an der Kirche vorbei in die
Ballenhausgasse hinein. Die Rohrmoserin sieht ihm noch eine Weile nach. Jetzt
hat sie, wie schon zuvor der Lingl Mucki, etwas im Ort zu berichten: Der
Gropper Martl ist wieder da. Der Schandi is dienstlich hier. Er muss was
exkamuflieren. Nehmt’s euch in Acht.
    Hier in der Ballenhausgasse hat er gewohnt. Da hieß sie noch
Judengasse, bis zur Pogromnacht 38. Das alte Haus sieht genauso aus wie
damals. Nur etwas verfallener. Sie hatten drei Kammern im Erdgeschoss. Schön
war die Zeit nicht. Noch immer glaubt er, den feuchten Schimmelgeruch in der
Nase zu spüren. Das Plumpsklo befand sich hinten im Hof in einem Holzverschlag.
Im Winter musste man mit den Pantoffeln durch den Schnee, und der Klodeckel war
vereist. Wenn man sich mit dem nackten Hintern auf die Brille hockte, fror man
beinahe fest.
    1923, nachdem sie ihren Bauernhof an das Sägewerk Schmauß verkaufen
mussten, ist er mit seinen Eltern und seiner Schwester Theres hierhergezogen.
Seinem Vater blieb nach dem Verlust des Hofes nichts anderes übrig, als für
Schmauß als Holzfäller zu
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