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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n)
Autoren: Josef H Reichholf
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war ein Läufer geworden; ein Läufer mit nomadischer Lebensweise. Die Vormenschen richteten sich auf die Hinterbeine auf, das dauerte viele Tausende Generationen und mehrere Millionen Jahre insgesamt. Aber dann war der Körper unserer fernen Vorfahren optimiert. Beckenform und Beinlänge passten, der Fuß ließ sich gut über die Ferse abrollen. Die Muskulatur war kräftig genug geworden, um schnelle Sprints und anhaltende Dauerläufe zu ermöglichen.
    Doch bei alldem wird Wärme frei; viel Wärme und immer mehr, je länger der Lauf dauert. Die Muskulatur würde sich überhitzen. Das Gehirn auch. Ein optimal arbeitendes Kühlsystem ist daher unverzichtbar. Die Menge der Schweißdrüsen nimmt zu. Die Größe und Dichte der Haare ab. Denn dichtes Fell verklebt der Schweiß, dann geht die Kühlwirkung verloren.
    Die Nacktheit kam zustande, weil der Mensch ein Läufer geworden war. Der beste Läufer überhaupt. Marathonstrecken legt er zurück und noch mehr, viel mehr. Der Rekord im Dauerlauf liegt gegenwärtig bei 600 Kilometern. Kein anderes Tier kann uns das nachmachen, weder das beste Rennpferd noch der ausdauerndste Hund. Um Rekorde ging es zwar sicherlich nicht in der Evolution des Menschen, wohl aber um Ausdauer, um Durchhaltevermögen. Die nomadische Lebensweise wurde der Lebensstil aller Angehörigen der Gattung Mensch. Wir stammen von ihnen ab. Ihr Vorteil ist auch unserer. Wir nutzen ihn zum Arbeiten. Damit haben wir die Welt verändert. Kein anderer Primat, kein vergleichbares Säugetier ist auch nur annähernd so leistungsfähig wie der Mensch. Die Nacktheit macht’s möglich. Dass sie oft verborgen wird, hat andere Gründe. Denn die Erfindung der Kleidung vervollständigte den Vorzug der Nacktheit. Mit diesem beliebig zu wechselnden Ersatz für das Fell wurde es dem Menschen möglich, seine Tropenheimat zu verlassen und sich den großen Rest der Erde als Lebensraum zu erschließen. Die Kleidung benutzt er dazu, seine Tropenwelt in kleinstmöglichem Umfang mitzunehmen. Nämlich mit etwa 27 Grad Celsius an der Körperoberfläche.
    Nur der Kopf mit seinem mehr oder weniger üppig wuchernden Haar bereitet noch evolutionsbiologisches Kopfzerbrechen. Auch mir, zumal ich eine Deutung versuchen möchte, die sicherlich nicht allen gefallen wird. Ich halte die Haare nämlich für eine Ausscheidung des Körpers; ursprünglich zumindest. Sie bestehen aus Horn, genauer gesagt, aus Keratin. Dieser Stoff bedeckt als dünne Außenschicht nicht nur den menschlichen Körper, sondern alles, was unter Säugetieren, Vögeln und anderen Wirbeltieren Haut hat. Wiederum sollte ich genauer sein und von der Oberhaut sprechen, denn die darunter liegende, viel dickere Lederhaut ist nicht gemeint. Aus dieser dickeren Unterhaut von Rindern und anderen Tieren stellt man Leder her; die Oberhaut ist zu dünn dafür. Wofür ist sie dann aber gut? Dass sie Schwielen und Hühneraugen ausbildet?
    Natürlich sind das Folgen übermäßiger Hautbildung, aber nicht die Gründe für deren Entstehung. Wichtiger scheint zunächst, dass sie den Körper nach außen begrenzt und schützt. Das ist richtig. Doch muss sie deswegen andauernd abschuppen, auch wenn sie gar nicht strapaziert wird? Was mir am wenigsten gefällt, sind Erklärungen, die da lauten: »Das ist halt so.« Ich meine, es gibt eine echte Erklärung, wenn wir uns die Haut selbst und die Gebilde, die sie erzeugt, ein wenig genauer ansehen.
    Der Stoff, aus dem sie aufgebaut sind, ist das schon angeführte Keratin. Es besteht aus Eiweiß, genauer aus Eiweiß-Bauteilen, den Aminosäuren, die in einer ganz bestimmten Weise miteinander chemisch verbunden sind. Zu diesen Aminosäuren gehören auch solche, die Schwefel enthalten. Würden diese im Körper abgebaut werden wie andere Reststoffe auch, entstünden dabei sehr giftige Schwefelverbindungen, wie etwa der (nach faulen Eiern stinkende) Schwefelwasserstoff (H 2 S). Stattdessen steckt der Körper diese schwefelhaltigen Aminosäuren in die Bildung von Keratin, das elastisch und zäh, zugleich aber auch gänzlich ungiftig ist. In Haare zusammengefasst ergibt sich daraus das Fell. Es verliert mehr oder weniger regelmäßig Haare. Bei manchen Tieren gibt es einen richtigen Haarwechsel in Frühjahr und Herbst. Dabei sind die Haare keineswegs so schlecht, dass sie ersetzt werden müssten. Deshalb halte ich das Haar für eine Körperausscheidung, die ursprünglich dazu angelegt war, problematische Aminosäuren zu entsorgen, die der Körper nicht
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