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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n)
Autoren: Josef H Reichholf
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Sehtüchtigkeit vor. Manche können Rot und Grün nicht voneinander unterscheiden. Etwa neun Prozent der Männer und weniger als jede Hundertste der Frauen ( 0 , 8 Prozent) sind von der Rot-Grün-Schwäche oder -Blindheit betroffen. Viel seltener ist eine Blau-Gelb-Schwäche und eine ganz große Ausnahme die völlige Farbenblindheit. Diese Sehschwächen sind angeboren. Man kennt inzwischen sogar genau die Stellen im Erbgut, an denen die Fehler sitzen, nämlich auf einem der beiden Geschlechts-Chromosomen, auf dem X-Chromosom. Da Männer nur eines davon haben, tritt bei ihnen die Rot-Grün-Blindheit zehnmal häufiger auf als bei Frauen, die zwei X-Chromosomen in sich tragen. Hat das eine den Fehler, das andere aber nicht, wird er ausgeglichen, aber gegebenenfalls weitervererbt.
    Rot ist eine Farbe, die von den meisten Säugetieren gar nicht gesehen wird. Hunde können Rot und Grün praktisch nicht unterscheiden, wenn sie den gleichen sogenannten Grauwert haben. Gemeint ist damit die gleiche Helligkeit bzw. Intensität farbiger Flächen. Rot-Grün-blind sind auch Kühe und Rehe, Katzen und Pferde. Ausnahmen machen Säugetiere unserer näheren und nächsten Verwandtschaft, die Primaten. Ihre Lebensweise zeigt uns, weshalb die Fähigkeit, Rot von Grün unterscheiden zu können, für sie und auch für uns Menschen so wichtig geworden ist.
    Es geht um das Erkennen reifer Früchte. Viele, besonders solche, die uns gut schmecken und die nahrhaft sind, wechseln beim Reifen ihre Farbe von Grün zu Rot oder zumindest zu rötlicher Tönung. In tropischen Wäldern, in denen Früchte nicht zu ganz bestimmten Jahreszeiten reifen und der Aufwand, in die Baumkronen hinaufzuklettern, hoch ist, stellt das Erkennen reifer Früchte auf größere Entfernung einen beträchtlichen Vorteil dar. Das gilt natürlich auch für die Vögel, die sich allerdings dank ihrer Flugfähigkeit leichter tun, die reifenden Früchte zu erreichen. In der Fähigkeit, Rot gut zu erkennen, gleichen wir den Vögeln also weit mehr als den allermeisten anderen Säugetieren.
    Viele Tiere, die süße Früchte mögen, verlassen sich auf ihre Nase. Das Aroma des Obstes verrät ja noch zuverlässiger als die Farbe den Reifezustand. Die menschliche Nase ist allerdings nicht gerade gut dafür geeignet, auf eine Entfernung von 20 , 30 oder gar mehr als 100 Metern feine Fruchtaromen zu riechen. Weil wir so ausgeprägte » Augentiere« sind, müssen wir die Früchte möglichst direkt unter der Nase haben. Auf eine Entfernung verlassen wir uns lieber – und richtigerweise – auf die Augen.
    Rot ist aber nicht nur ein gut erkennbares Farbsignal, es hat noch eine andere Bedeutung, und zwar nicht nur für den Menschen. Es ist die Farbe des Blutes und damit ein wichtiges, ein geradezu lebenswichtiges Signal. Rot, das in Lippen erstrahlt oder auch in Blüten, hält sich anders als austretendes Blut. Es ist lebendiges, » gutes« Rot, nicht das bedrohliche. Viele Menschen, vielleicht sogar besonders diejenigen, die rote Blüten am meisten mögen, können kein Blut sehen. Es scheidet für sie gleichsam Leben und Tod. Und tödlich kann Rot durchaus nicht nur beim Verbluten sein, es warnt auch vor tödlichem Gift. Korallenschlangen beispielsweise tragen rote Ringe am Körper, manche giftige Insekten, die Giftstoffe enthalten, auch. Und sogar viele rote Beeren sind giftig. Gerade solche, wie sie der Seidelbast, das Maiglöckchen und andere Pflanzen entwickeln, können bei Verzehr lebensgefährliche Vergiftungen verursachen.
    Also bringt unsere besondere Fähigkeit, Rot und Grün zu erkennen, den Vorteil, Gutes und Gesundes von Gefährlichem zu unterscheiden. Die dafür erforderlichen Anlagen entstanden in der jüngeren Vergangenheit der Primaten, als diese anfingen, ihre ursprüngliche Insektennahrung mit Früchten zu ergänzen. Der Mensch bekam sie als Fähigkeit mit, aber eben mit der einige wenige belastenden Schwäche, dass bei ihnen nur die alte, säugetiertypische Farbunterscheidung ausgebildet ist und Rot fehlt.
    Aber auch andere Farben, Blau oder Gelb, signalisieren Wichtiges. Schließlich gibt es eine Fülle wohlschmeckender Früchte mit gelber Färbung, wie die Bananen, und auch blaue Pflaumen oder Heidelbeeren. Nur Grün ist als Fruchtfarbe selten, weil sie sich vom Grün der Blätter zu wenig abhebt.
    Es ist für die Pflanzen, die fleischige, zuckerhaltige Früchte erzeugen, wichtig, dass die Früchteverzehrer diese finden, damit auch die Samen weiterverbreitet werden.
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