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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
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Mut proben!
    Als Politiker sah ich mich immer wieder vor die Frage gestellt, welche Hoffnungen die Menschen in die Politik und in uns Politiker heute setzen. Und ich bemerkte eine große Diskrepanz zwischen dem, was man von uns erwartet, und dem, was man uns tatsächlich zutraut. Immer wieder stellte ich in Gesprächen fest, dass die Menschen sich von einem Politiker vor allem Ehrlichkeit wünschen und Gradlinigkeit. Und dass sie genau diese Tugenden derzeit am meisten auch vermissen. Ich kann das nachvollziehen. Vor allem, denke ich, fehlt es der Politik heute an einer guten Portion Mut.

    Mut heißt immer, bewusst ein überschaubares Risiko einzugehen. Alles andere ist leichtfertig – oder es ist Heldenmut. Mutig ist also der, der in Kenntnis der Gefahren der eigenen Überzeugung und Intuition folgt. Die erste Mutprobe meistert jeder von uns unbewusst schon im Babyalter. Mit neun oder zehn oder elf Monaten richten wir uns auf für die ersten Schritte, sehr wackelig, noch gestützt durch unsere Eltern, aber dann, plötzlich, können wir uns lösen und marschieren freudestrahlend los. Ganz von allein. Ab diesem Moment ist unser Leben von solch großen und kleineren Momenten des Mutes bestimmt: der erste Sprung ins tiefe Wasser, das erste Mal ungestützt Fahrradfahren, der erste Kuss, die Entscheidung für oder gegen diesen oder jenen Beruf, Hochzeit ja oder nein, eigene Kinder und so weiter und so fort. All diese Entscheidungen verbindet die Bereitschaft, auch das entsprechende
Risiko in Kauf zu nehmen. Das Risiko, nicht gleich laufen zu können und hinzufallen, im Wasser doch nicht auf Anhieb zu schwimmen, mit dem Fahrrad auf die Nase zu knallen, den Kuss verwehrt zu bekommen, den falschen Beruf gewählt, die falsche Person geheiratet zu haben. All das sind Risiken, die wir instinktiv oder intellektuell einkalkulieren, wenn wir uns für einen neuen Schritt entscheiden. Wir entscheiden uns für das Risiko und gegen unsere Bedenken, weil wir überzeugt sind davon, dass dieser Schritt auch der richtige ist. Mut, so wie ich ihn also verstehe, ist nur ein anderes Wort für die Bereitschaft zum Risiko. Mut ist eine Frage der Haltung.

    Ich selbst bezeichne mich nicht als mutig. Ich bin ein intuitiver Mensch. Intuitiv habe ich häufig Entscheidungen gefällt, bei denen hinterher die Leute sagten, da warst du aber mutig, da bist du aber ein hohes Risiko eingegangen. Zwar habe ich die Risiken meist gesehen – oder absichtlich übersehen –, aber in meiner Entscheidungsfreiheit wollte ich mich dadurch nicht blockieren lassen. Weil ich immer überzeugt war von meiner Sache, dieses oder jenes in diesem Moment nun mal tun zu müssen. Und wo ich es nicht tat, da bereue ich es heute.

    Zu jenen Entscheidungen mit Risiken und Nebenwirkungen gehörten sicherlich das Bündnis mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill, sein späterer Rausschmiss und die darauf folgende Entscheidung zu Neuwahlen. Es hätte verdammt schief gehen können. Aber es lief gut. Weit besser sogar als erhofft.
Ich galt als »Drachentöter«, und wir erhielten anschließend die absolute Mehrheit.
    Auch die erste Schwarz-Grüne Koalition auf Landesebene war mit hohen Risiken verbunden. Eine große Koalition wäre zwar bequemer gewesen, in dieser Konstellation hätte man vermutlich vier Jahre ohne großen Ärger überlebt. Aber das wollte ich nicht. Ich war überzeugt vom schwarz-grünen Bündnis, und ich schätze die Grünen in Hamburg auch persönlich sehr.
    Bei meiner Entscheidung für die Schulreform ging ich ebenfalls ein Risiko ein, und im Nachhinein betrachtet war es wohl das größte Risiko meiner gesamten politischen Laufbahn. Das eigene Lager konnte ich nicht ausreichend von der Notwendigkeit überzeugen, die Grundschule zu einer sechsjährigen Primarschule umzubauen. Ich hatte auch nicht erwartet, dass dieses Thema die Menschen so polarisiert. Natürlich bestand das Risiko zu scheitern, dessen war ich mir sehr bewusst. Und am Ende hat es sich ja auch bewahrheitet. Doch für mich persönlich war es nie ein Drama, für eine Überzeugung zu scheitern. Ich war überzeugt von unseren Argumenten, der festen Meinung, dass sie auch das bürgerliche Lager und die Konservativen überzeugen könnten. Ich glaubte schlicht, dass die gesellschaftliche Diskussion hier weiter wäre. Es ist nun eine sehr unglückliche Situation für die Partei, die die Hauptleittragende ist. Die Schwarz-Grüne Koalition platzte und wir verloren die darauf folgende Wahl mit lautem Krach.
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