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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst
Autoren: David Foenkinos
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Glück beneideten. Es handelte sich lediglich um ein vorübergehendes und unbestimmtes Gefühl, nichts wirklich Greifbares. Aber es war vorhanden. Nährte sich von Kleinigkeiten, von einem leise angedeuteten Lächeln, das jedoch Bände sprach, von einem Blick, den man ihr zuwarf. Niemand wäre darauf gekommen, dass ihr ihr Glück zuweilen Angst machte, Angst, es könne ein drohendes Unglück in sich bergen. Wenn sie den Satz «Ich bin glücklich» aussprach, hielt sie zuweilen inne: teils aus einer Art Aberglaube, teils aufgrund der Erinnerung an all die Momente, in denen das Glück schließlich in Unglück umgeschlagen war …
    Bei der Hochzeit bildeten Freunde und Familienmitglieder den
Mittelpunkt des Kreises, der gesellschaftlichen Druck erzeugt
. Der Kreis forderte die Geburt eines Kindes ein. Musste das Leben dieser Leute so langweilig sein, dass ihnen nichts Besseres einfiel, als sich über das der anderen zu erregen? So ist es immer. Man steht unter dem Pantoffel der Bedürfnisse anderer. Nathalie und François wollten nicht der Stoff der Fortsetzungsgeschichten sein, an denen ihr Umfeld strickte. Fürs Erste gefiel ihnen die Vorstellung von einem Leben zu zweit, allein auf der Welt, vom vollendeten Klischee der Liebesleichtigkeit. Seitdem sie sich kennengelernt hatten, hatte sie der Schwung ihrer totalen Unabhängigkeit getragen. Sie hatten es geliebt, auf Reisen zu gehen, und daher den leisesten Anflug eines sonnigen Wochenendes genutzt, um in einer romantischen Unschuld Europa zu durchkämmen. Augenzeugen ihrer Liebe hätten die beiden in Rom, Lissabon oder auch in Berlin antreffen können. Das Reisen hatte ihnen mehr als alles andere das Gefühl gegeben, eins zu sein. Bei ihnen war es zudem Ausdruck eines echten Sinns fürs Romaneske. An schwärmerischen Abenden erzählten sie sich immer wieder ihre erste Begegnung, riefen sich freudig jedes Detail ins Gedächtnis und priesen die Schläue des Zufalls. Sie waren, liebesmythologisch betrachtet, wie Kinder, denen man unermüdlich die gleiche Geschichte vorliest.
    Also in der Tat, dieses Glück konnte einem Angst machen.
    Vom Alltagstrott hatten sie sich nicht erschüttern lassen. Obwohl sie beide immer mehr arbeiteten, richteten sie es so ein,dass sie sich sehen konnten. Selbst wenn sie nur geschwind zusammen frühstückten. Ratzfatz frühstücken, wie François zu sagen pflegte. Und Nathalie liebte dieses Wort. Sie stellte sich ein zeitgenössisches Gemälde vor, auf dem ein Mann und eine Frau zu erkennen waren, die gerade ratzfatz frühstückten, so wie man früher bei Manet im Grünen gefrühstückt hatte. Das ist ein Bild, das Dalí hätte malen können, meinte sie. Manchmal findet man einen Satz vortrefflich und verschenkt sein Herz an ihn, ohne dass diejenige, die ihn ausgesprochen hat, etwas davon mitbekommt. François mochte den Gedanken an ein potenzielles Gemälde von Dalí, daran, dass seine Frau imstande war, sich die Geschichte der Malerei zusammenzuphantasieren und sogar neu zu schreiben. Eine Form von ins Extreme getriebener Naivität. Er keuchte, er wollte auf der Stelle sein Verlangen nach ihr stillen, sie vernaschen, hier und jetzt. Ein Ding der Unmöglichkeit, sie musste los. Also würde er warten bis zum Abend und sich dann mit der Begierde, die sich im Laufe langer frustrierter Stunden angestaut haben würde, auf sie stürzen. Ihr Sexualleben wurde mit der Zeit offenbar nicht eintönig. So etwas kommt selten vor: Jeder neue Tag wies noch immer Spuren des ersten Tages auf.
    Ansonsten bemühten sie sich, weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, Freunde zu treffen, ins Theater zu gehen und den Großeltern mit überraschenden Besuchen aufzuwarten. Sie wollten sich nicht abkapseln. Nicht in die Trägheitsfalle tappen. So zogen die Jahre vorüber, und alles erschien so spielend leicht. Während andere Leute all ihreKräfte aufbieten mussten. Diese Redensart wollte Nathalie nicht eingehen: «Liebe ist schön, macht aber viel Arbeit.» Für sie waren die Dinge entweder einfach oder eben nicht. So lässt’s sich leicht sinnieren, wenn alles rund läuft, wenn nie ein Wölkchen aufzieht. Na ja, manchmal. Doch das Glück von Nathalie und François ging so weit, dass man sich fragte, ob sie sich vielleicht nur um der Freude der Versöhnung willen stritten. Wohin sollte das noch führen? So viel Triumph hatte etwas geradezu Beunruhigendes. Bei aller Leichtigkeit, diesem bei Menschen selten auftretenden Phänomen, verstrich die
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