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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst
Autoren: David Foenkinos
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Zeit.

 
10
    Reiseziele, die Nathalie und François demnächst anpeilten
    Barcelona
    Miami
    La Baule

 
11
    Damit die Zeit vergeht, bedarf es allein der Atmung. Nathalie arbeitete bereits seit fünf Jahren in ihrer schwedischen Firma. Fünf bewegte Jahre, es ging die Gänge auf und ab, den Fahrstuhl rauf und runter. Die Strecke, die sie zurückgelegt hatte, entsprach fast der zwischen Paris und Moskau. Fünf Jahre, in denen sie eintausendzweihundertzwölf Tassen Kaffee vom Automaten getrunken hatte. Davon dreihundertvierundzwanzig im Rahmen der vierhundertzwanzig Besprechungen mit Kunden. Charles schätzte sich überaus glücklich, dass er sie zu seinen engsten Mitarbeiterinnen zählen durfte. Häufig zitierte er sie in sein Büro, einfach nur, um ihr sein Lob auszusprechen. Zugegeben, das tat er am liebsten abends. Wenn alle anderen schon weg waren. Doch daran war nichts Anstoßerregendes. Er hegte so viele zärtliche Gefühle für sie und genoss die Augenblicke, in denen sie allein waren. Natürlich versuchte er, eine Grundlage für doppelbödige Bemerkungen zu schaffen. Jede andere Frau hätte seine Masche durchschaut, doch Nathalie war von einem eigenartig monogamen Dunst umgeben. Pardon, von einem Liebesdunst. Diese Art von Dunst, die für alle anderen Männer, aber auch für jeglichen objektiven Verführungsversuch blind macht. Charles amüsierte sich darüber, er malte sich diesen François wie einen Abgott aus. Vielleicht war ihm auch der Umstand, dass sie nieauf die Avancen, die er ihr machte, einging, so etwas wie eine Herausforderung. Früher oder später würde es ihm sowieso gelingen, sie auf glattes Parkett zu führen, sei es auch nur geringfügig glatt. Hin und wieder änderte er seine Meinung radikal, und dann bereute er, sie eingestellt zu haben. Der tägliche Anblick dieser unerreichbaren Frau zehrte ihn aus.
    Das in den Augen der anderen privilegierte Verhältnis, das Nathalie zum Chef unterhielt, rief Spannungen hervor. Sie bemühte sich, den Unfrieden beizulegen und sich nicht in die schäbigen Niederungen eines Bürobetriebs hinabziehen zu lassen. Wenn sie Charles auf Distanz hielt, dann auch deswegen. Um nicht in die altmodische Rolle des Günstlings zu schlüpfen. Womöglich schraubten ihre Eleganz und das Ansehen beim Chef, das sie genoss, die Ansprüche an sie noch höher. Das war ihr Eindruck, sie war sich nicht sicher, ob er auch gerechtfertigt war. Alle prophezeiten dieser bestechenden, zielstrebigen und fleißigen Frau übereinstimmend eine große Zukunft im Konzern. Die schwedischen Aktionäre hatten mehrfach von ihren fabelhaften Initiativen Wind bekommen. Der dadurch ausgelöste Neid äußerte sich in Schlägen unter die Gürtellinie. In Versuchen, sie aus ihrem seelischen Gleichgewicht zu bringen. Sie beklagte sich nicht, und wenn sie abends nach Hause kam, war es nie ihre Art, François etwas vorzujammern. Damit ließ sie auch durchblicken, dass ihr das läppische Theater der Ambitionen im Grunde nicht so wichtig war. Ihre Gabe, Probleme an sich abprallen zu lassen, galt als Stärke. Vielleicht war das ihre schönste Eigenschaft: die, ihre Schwächen nicht in den Vordergrund zu stellen.

 
12
    Entfernung zwischen Paris und Moskau
    2478 Kilometer

 
13
    Am Wochenende war Nathalie oft fix und fertig. Die Sonntage verbrachte sie gern mit einem Buch auf dem Sofa, wo sie sich abwechselnd der Lektüre und, wenn ihr Bedürfnis nach Schlaf stärker als das nach Dichtkunst war, ihren Träumereien hingab. Sie legte sich eine Decke über die Beine, und was noch? Ach ja, meist machte sie sich eine Kanne Tee, die sie Tasse für Tasse trank, in kleinen Schlucken, als handle es sich bei diesem Tee um eine unerschöpfliche Quelle. An jenem Sonntag, als es geschah, las sie in einem dicken russischen Roman eines Schriftstellers, der seltener als Tolstoi oder Dostojewski gelesen wird und zum Nachdenken über die Vergehen der Nachwelt anregen kann. Ihr gefiel der müde Held, der unfähig war, zur Tat zu schreiten, dem Tagwerkden Stempel seiner Dynamik aufzudrücken. Seine Schwäche hatte etwas Trauriges. Wie beim Tee mochte sie auch an Romanen das Zyklische.
    François näherte sich ihr: «Was liest du denn?» Das sei so ein russischer Autor, entgegnete sie, doch ging nicht weiter auf ihn ein, denn es schien ihr, als habe er die Frage routinemäßig, nur aus Höflichkeit gestellt. Sonntag. Ihr beliebte es zu lesen, ihm beliebte es zu laufen. Er trug diese Shorts, die sie ein wenig lächerlich
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