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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst
Autoren: David Foenkinos
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Grund schlagartig zu trinken anfängt, ist furchteinflößend. Nicht einmal ein Glas Rotwein wäreangebracht. François wartete weiter darauf, dass sie ihre Entscheidung treffen würde, und fuhr derweilen in seiner flüssigen Analyse des ersten Eindrucks einer Frau fort. Was blieb jetzt noch übrig? Cola oder irgendein anderes kohlensäurehaltiges Getränk … Nein, ausgeschlossen, das hatte überhaupt nichts Weibliches. Dann kann sie auch gleich einen Strohhalm dazu verlangen. Ein Fruchtsaft, sagte er sich schließlich, wäre gut. Genau, ein Fruchtsaft, das ist nett. Gesellig und nicht zu aufdringlich. Man fühlt, dass man es mit einem sanften und ausgeglichenen Wesen zu tun hat. Doch welcher Fruchtsaft? Den großen Klassikern geht man lieber aus dem Weg: Apfel oder Orange, das kennt man zur Genüge. Es sollte etwas ein klein wenig Originelles sein, das dabei jedoch nicht exzentrisch wirkt. Papaya oder Guave, da bekommt man es mit der Angst zu tun. Nein, am besten wäre so ein Mittelding wie zum Beispiel Aprikose. Stimmt, jetzt hab ich’s. Aprikosensaft ist super. Wenn sie den nimmt, heirate ich sie, dachte François. Just in diesem Augenblick sah Nathalie von der Karte auf, als kehrte sie von einem langen Gedankengang zurück. Vom gleichen Gedankengang, den auch der Unbekannte, der ihr gegenübersaß, soeben hatte.
    «Ich glaube, ich nehme einen Saft …»
    «…?»
    «Einen Aprikosensaft.»
    Er starrte sie an, als wäre sie aus der Wirklichkeit über ihn hereingebrochen.
    Der Grund, warum sie sich auf diesen Fremden eingelassen und sich zu ihm gesetzt hatte, war, dass sie seinem Charmeerlegen war. Diese Mischung aus Unbeholfenheit und Zielstrebigkeit hatte ihr auf Anhieb gefallen, ein Auftreten irgendwo zwischen Pierre Richard und Marlon Brando. Er hatte etwas, das sie an Männern mochte: Er schielte leicht. Ganz leicht, aber dennoch erkennbar. In der Tat verwunderlich, dass ihr dieses Detail an ihm auffiel. Und dann hieß er auch noch François. Sie hatte diesen Vornamen immer geliebt. Geschmackvoll und gelassen wie das Bild, das sie von den 50er-Jahren hatte. Jetzt redete er mit immer größerer Leichtigkeit. Zwischen ihnen entstanden keine Gesprächspausen, es gab keine Verlegenheit, keine Anspannung. Innerhalb von zehn Minuten war die Eingangsszene, in der er sie auf der Straße angesprochen hatte, in Vergessenheit geraten. Es kam ihnen so vor, als würden sie sich bereits kennen, als träfen sie sich, weil sie verabredet waren. Die Einfachheit war erschlagend. Sie erschlug alle früheren Rendezvous, bei denen es darum gegangen war, witzig zu sein und sich ins Zeug zu legen, um sich als anständiges Geschöpf zu präsentieren. Die Offensichtlichkeit geriet geradezu lachhaft. Nathalie sah diesen Kerl an, der ihr kein Unbekannter mehr war, dessen Anonymitätspartikel unter ihren Augen langsam dahinschwanden. Sie versuchte, sich zu erinnern, wohin sie gewollt hatte, als sie ihn traf. Es war ihr nicht ganz klar. Zielloses Umherstreifen gehörte eigentlich nicht zu ihrer Art. War sie nicht im Begriff, auf den Spuren dieses Cortázar-Romans zu wandeln, den sie unlängst gelesen hatte? Die Literatur hatte Einzug in ihr Leben gehalten. Genau, so war’s, sie hatte
Rayuela. Himmel und Hölle
gelesen, und besonders hatten es ihr die Stellen angetan, an denen die Helden esdarauf abgesehen haben, sich auf der Straße gegenseitig in die Arme zu laufen, und dazu
Wege einschlagen, die aus dem Satz eines Clochards entstanden waren
. Am Abend verfolgten sie ihre Routen auf der Karte zurück, um zu sehen, wann sie hätten aufeinandertreffen können, wann sie wohl haarscharf aneinander vorbeigelaufen waren. Dahin hatte sie also gewollt: in einen Roman.

 
3
    Nathalies drei Lieblingsbücher
    Die Schöne des Herrn
    von Albert Cohen
    Der Liebhaber
    von Marguerite Duras
    Die Geometrie der unwägbaren Beziehungen
    von Dan Franck

 
4
    François war im Finanzwesen tätig. Es genügte, sich fünf Minuten in seiner Gesellschaft aufzuhalten, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dieses Gewerbe so wenig zu ihm passte wie die wirtschaftliche Berufung zu Nathalie. Vielleicht ist es das Diktat der praktischen Veranlagung, das sich der eigentlichen Bestimmung immer in den Weg stellt. Schwer denkbar allerdings, dass er das Metier wechseln könnte. Obwohl wir ihn in dem Augenblick, in dem er Nathalie kennenlernte, als nahezu schüchternen Menschen erlebt haben, steckte er voller Lebenskraft, sprühte vor Ideen und Temperament. Mit diesem Elan
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