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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst
Autoren: David Foenkinos
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wäre er auch in jedem anderen Beruf erfolgreich gewesen, sogar als Krawattenvertreter. Er war jemand, den man sich prächtig vorstellen konnte, wie er, mit dem Köfferchen in der einen Hand, mit der anderen Hände schüttelte, deren Besitzer er gleichzeitig am liebsten die Kehle zugedrückt hätte. Er verfügte über den enervierenden Charme jener Leute, die einem jeden Dreck verkaufen können. Von ihm ließ man sich dazu breitschlagen, im Sommer Ski zu fahren und in isländischen Seen zu schwimmen. Er gehörte zu der Sorte von Männern, die einmal auf der Straße eine Frau ansprechen und gleich auf die richtige stoßen. Alles schien ihm zu gelingen. Finanzwesen, na, warum nicht. Er war einer von diesen Spekulantenlehrlingen, die, während sie mit Millionen jonglieren,sich auf ihre jüngst gespielten Monopoly-Partien besinnen. Sobald er jedoch das Bankgebäude verließ, war er ein anderer Mensch. Der Aktienindex blieb in seinem Büroturm zurück. Das Geschäftliche hielt ihn nicht davon ab, weiterhin seinen Hobbys zu frönen. Vor allen Dingen liebte er es zu puzzeln. Das mag merkwürdig erscheinen, doch nichts lenkte sein überschäumendes Gemüt besser in die rechten Bahnen, als hie und da einen Samstag damit zu verbringen, Tausende von Teilen zusammenzusetzen. Nathalie gefiel es, ihren Verlobten zu beobachten, wenn er sich im Wohnzimmer niederkauerte. Eine stumme Darbietung. Und dann sprang er plötzlich auf und rief: «Los, komm, lass uns rausgehen!» Dies ist nun der letzte Punkt, den wir festhalten müssen: Er war kein Freund der sanften Übergänge, mochte klare Zäsuren, ging vom Schweigen in regelrechtes Tosen über.
    Mit François verflog die Zeit in rasendem Tempo. Man hätte fast glauben können, er besäße die Fähigkeit, bestimmte Tage zu überspringen, exotische Wochen ohne Donnerstag zu erschaffen. Kaum hatten sie sich kennengelernt, schon feierten sie ihr Zweijähriges. Zwei Jahre ungetrübten Glücks, für jeden Tollpatsch ein Schlag ins Gesicht. Sie wurden bewundert wie Champions. Sie trugen das Gelbe Trikot der Liebe. Nathalie glänzte in ihrem Studium und gab sich alle Mühe, François im Alltag zu entlasten. Dadurch, dass ihre Wahl auf einen Mann gefallen war, der ein klein wenig älter war als sie und bereits eine berufliche Stellung hatte, hatte sie aus ihrem Elternhaus ausziehen können. Aber da sie sich von ihm nicht aushalten lassen wollte, hatte sie sich entschlossen, ein paar Tage in der Woche als Platzanweiserin in einem Theater zuarbeiten. Sie war glücklich über diesen Job, der für sie einen Ausgleich zum etwas trockenen Klima an der Universität darstellte. Wenn die Zuschauer ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sie sich in die letzte Reihe. Sie sah die Stücke, die sie in- und auswendig kannte, führte die gleichen Lippenbewegungen wie die Schauspielerinnen aus und verneigte sich, wenn das Publikum Beifall klatschte, ehe sie anschließend das Programmheft verkaufte.
    Da sie mit den Stücken bestens vertraut war, hatte sie ihren Spaß daran, den Alltag mit einschlägigen Dialogen zu spicken, das Wohnzimmer zu durchmessen und dabei zu miauen, dass die Miezekatze tot sei. An den vergangenen Abenden war
Lorenzaccio
von Alfred de Musset gegeben worden, und so streute sie ungeordnet und vollkommen zusammenhangslos hin und wieder einige Passagen ein: «Der Ungar hat recht. Komm hier entlang.» Oder auch: «Wer kriecht da im Dreck? Wer schreit da so grässlich vor meinen Palastmauern?» Das waren die Töne, die François an jenem Tag zu hören bekam, als er gerade um Konzentration bemüht war.
    «Kannst du nicht ein bisschen leiser sein?», bat er. «
    Okay, einverstanden.»
    «Ich bin hier mit einem äußerst wichtigen Puzzle beschäftigt.»
    Nathalie verhielt sich also rücksichtsvoll, denn sie hatte Achtung vor dem Eifer ihres Verlobten. Dieses Puzzle war anscheinend anders als die anderen. Kein Motiv zu erkennen, keine Schlösser, keine Menschen. Lediglich ein weißer Hintergrund, vor dem sich rote Schlaufen abzeichneten. DieSchlaufen entpuppten sich als Buchstaben. Es handelte sich um eine Mitteilung in Puzzleform. Nathalie ließ das soeben aufgeschlagene Buch sinken und beobachtete das Voranschreiten des Puzzles. Von Zeit zu Zeit wandte François ihr den Kopf zu. Das Enthüllungsdrama strebte seiner Lösung entgegen. Nur noch wenige Teile, und Nathalie konnte die Botschaft schon erahnen, eine aus Hunderten von Einzelteilen bestehende Botschaft, bis ins Kleinste ausgeklügelt.
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